Der Pfeil der Rache
herausgefunden.«
»Ihr seid an Bord gekommen, um ihn zur Rede zu stellen?«, fragte Leacon ungläubig.
»Jawohl. Wie spät ist es?«
»Nach drei.«
»Herrjesus! Ich bin seit letzter Nacht hier. Was geht hier vor sich? Ich hörte Kanonenschüsse –«
»Die Franzosen haben erneut fünf Galeeren ausgeschickt, aber unsere Kanonen halten sie in Schach. Wir haben sogar eine getroffen. Sie musste sich mit Schlagseite in die Flotte zurückziehen. Es weht kein Wind, weder unsere noch ihre Schiffe kommen vom Fleck. Die Franzosen sind mit einigen Galeeren auf der Isle of Wight gelandet. Wir sehen Feuer. Und trotzdem, hätten sie ihre gesamte Flotte ausgeschickt, wären wir in ärgerer Bedrängnis. Sobald der Wind günstig ist, setzen wir die Segel und greifen sie an.«
»Was geht hier an Bord vor sich? Ich hörte, wie man die Kanonen vor- und zurückrollte, jedoch ohne zu feuern.«
»Sie lassen die Kanoniere den Ernstfall üben, zum Zeitvertreib. Dieses Warten zehrt an den Nerven.«
»Jemand schrie etwas über eine Pumpe. Ich glaubte schon, wir seien getroffen –«
»Ein paar Männer stiegen hinunter, um nachzusehen, aber es scheint nichts Ernstes zu sein.«
Ich seufzte erleichtert. »Wie habt Ihr mich gefunden?«
»Ich hörte zwei Matrosen sagen, dass letzte Nacht ein Rechtsanwalt an Bord gekommen und mit West unter Deck gegangen sei, der Fährmann sei dann ohne ihn an Land zurückgerudert. Ihr wärt nicht mehr an Deck gekommen, meinten sie, und vermutlich noch immer an Bord. Sie sagten –« Er zögerte.
»Ich kann es mir denken. Bucklige bringen Unglück. Tja, diesmal hat ihr Aberglaube mir das Leben gerettet.«
»Ich nahm sie ins Verhör, doch sie blieben bei ihrer Geschichte. Also machte ich mich daran, nach Euch zu suchen. Zunächst ging ich das Kanonendeck ab, fand diese verschlossene Tür und schließlich Euch.«
»Wo ist West?«
»Irgendwo an Bord. Er war gestern an Land, um Proviant zu holen, aber die Hälfte des Biers, das er erstanden hat, ist schlecht. Meine Männer sind schon halb verdurstet. Er ist wahrscheinlich oben im Bugkastell, beim Zahlmeister. Ich sagte Sir Franklin, dass ich herausfinden wolle, was mit dem Bier geschehen würde.«
»Habt Dank, habt Dank, Ihr habt mir das Leben gerettet. Wie geht es den Männern?«
»Müde und hungrig sind sie. Über die Hälfte sind oben auf dem Heckkastell, einschließlich jener, die Ihr kennt. Ich bin auch bei ihnen. Andere verteilen sich über die verschiedenen Decks des Bugkastells. Aber sie sind fest entschlossen; sie kämpfen und sterben, wenn es sein muss.« Stolz und Schmerz mischten sich in seiner Stimme. »Ich muss wieder zu ihnen. Könnt Ihr aufstehen, wenn ich Euch helfe?«
Ich verbiss mir den Schmerz und rappelte mich hoch. »Beim Blute Gottes!«, platzte Leacon heraus. »West muss den Verstand verloren haben.«
»Er wollte mir noch in der Nacht den Garaus machen, doch als er den Proviant an Bord geholt hatte, waren einige Männer vor den Kanonen als Wachen postiert worden. Er und Richard Rich hatten die Sache gestern gemeinsam ausgeheckt. Und ich bildete mir ein, ich hätte mit Rich eine Vereinbarung getroffen. Grundgütiger, war ich ein Narr!«
Er schüttelte betrübt den Kopf. »West gilt als gerechter, pflichtbewusster Offizier.« Er sah mich vorwurfsvoll an. »Ihr hättet mir sagen müssen, wie gefährlich er ist.«
»Das weiß ich doch auch erst seit gestern. Aber Barak meinte, ich würde Euch ausnutzen, und er hatte recht. Es tut mir leid.«
»Wo ist Jack?«
»Auf dem Weg nach London.« Ich holte tief Luft. »George, da wäre noch etwas, Ihr werdet es kaum glauben. Rich lockte mich damit an Bord – und aus diesem Grund seid Ihr jetzt auf der
Mary Rose
. Gestern habt Ihr einen neuen Rekruten aufgenommen. Hugh Curteys.«
»Ja«, antwortete er in defensivem Ton. »Er kam am Nachmittag, wollte sich anwerben lassen, und ich nahm ihn auf. Ich hatte ihn schon einmal gesehen und erinnerte mich, was für ein trefflicher Schütze er ist. Er sagte mir, sein Vormund sei einverstanden.«
Ich lächelte gequält. »Ihr habt ihm geglaubt?«
»Die Truppen haben allesamt eine zu geringe Mannstärke. Hätte ich ihn abgewiesen, hätte er sich anderswo anwerben lassen.«
»George, Hugh Curteys ist nicht der, für den er sich ausgibt. Er ist nicht einmal ein Junge. ›Er‹ ist eine ›Sie‹, Hughs Schwester. Sie spielt diese Rolle schon seit Jahren.«
Er sah mich verständnislos an. »Was?«
»Jener elende Hobbey zwang ihr die Rolle
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