Der Pfeil der Rache
allein nicht durchbringen kann und zudem Gefahr läuft, entdeckt zu werden. Es besteht zumindest die Hoffnung, dass sie zu mir kommt.«
»Nach London?«, fragte Hobbey.
»Ich sagte ihr, dass ich ihre Vormundschaft übernehmen und es ihr überlassen würde, was sie aus ihrem Leben machen möchte.«
»Dann wollen wir hoffen, dass sie sich wirklich an Euch wendet.« Hobbey seufzte und fügte hinzu: »Ich habe ebenfalls vor, nach London zurückzukehren. Ich will dieses elende Haus hier verkaufen und ein kleineres erstehen, an einem ruhigen Ort. Es wird einfacher sein für David, und ich finde dort auch eher Hilfe für seine Gebrechen.«
»Ja, er ist wahrlich nicht zu beneiden!«, sagte Dyrick mit Nachdruck.
»Glaubt Ihr, das wüsste ich nicht?«, herrschte Hobbey ihn an. Er wandte sich wieder mir zu. »Ich erhalte einen guten Preis für dieses Haus und das Waldland. Sir Luke Corembeck hat mir sein Interesse bekundet.« Er wandte sich wieder Dyrick zu, und in seiner Stimme schwang eine Spur der alten Schärfe. »Du handelst den Preis aus, Vincent. Nur denke daran: Was wir erzielen, ist künftig unsere einzige Lebensgrundlage, sobald – sobald meine alten Schulden beglichen sind. Master Shardlake, werdet Ihr Emmas Anteil einbehalten, wenn sie bis zum Verkauf des Hauses nicht zurückgekehrt ist?«
»Gewiss.«
»Wir könnten mehr herausschlagen, wenn wir das Gemeindeland hätten«, murrte Dyrick.
»Tja, wir haben es nun einmal nicht«, sagte Hobbey. »Reite gleich morgen los, Vincent, und leite den Verkauf von London aus in die Wege. Ich kann dich nicht mehr sehen«, fügte er hinzu. Dyricks Miene verfinsterte sich. Hobbey wandte sich mir zu. »Master Shardlake, seid so gut, sprecht mit David. Ihr müsst ihm versichern, dass Ihr nichts darüber verlauten lasst, was seiner Mutter zugestoßen ist.«
Ich nickte zustimmend. Ich verspürte noch immer die Verantwortung, jenes Geheimnis zu wahren; und ich musste mich vergewissern, wie es um David bestellt war.
* * *
Hobbey und ich stiegen die Treppe hinauf. Er ging langsam, hielt sich dabei am Geländer fest. »Bevor wir David besuchen, Master Shardlake, möchte ich Euch noch etwas fragen.«
»Ja?«
»Ich hoffe, Ihr habt recht und Emma sucht Euch wirklich in London auf. Doch falls man sie als Mädchen entlarvt, wird sie dann verraten –« er verzog schmerzhaft das Gesicht, – »wird sie verraten, dass David seine eigene Mutter getötet hat? Gewiss ahnt sie doch, dass er es war.« Er starrte mich eindringlich an. Seine erste Sorge galt noch immer seinem Sohn.
»Ich glaube nicht. Sie schien mir in schweren Gewissensnöten, weil sie David verletzt hat.«
Hobbey nahm noch eine Stufe, musste erneut verschnaufen und blickte mich unverwandt an. »Was habe ich nur getan?«, fragte er. »Was haben wir uns all die Jahre bloß dabei gedacht?«
»Kein Mitglied der Familie war noch imstande, einen klaren Gedanken zu fassen, schon eine geraume Weile nicht mehr. Ihr hattet viel zu viel Angst. Bis auf Fulstowe, der nur auf seinen Vorteil bedacht war.«
Hobbey blickte in den großen Saal hinunter, das Ziel all seiner Bestrebungen. »Und ich wollte nicht wahrhaben, dass mein Sohn mehr und mehr – den Verstand verlor. Ich gebe mir selbst die Schuld an seiner Tat.« Er seufzte. »Tja, nun ist es vorbei. Dyrick versucht, mir den Verkauf auszureden, aber mein Entschluss steht fest.«
Er führte mich in Davids Zimmer. Es war mit einem guten Himmelbett ausgestattet, mit Stühlen, Kissen und einem alten Wandteppich mit der Darstellung einer Schlacht aus römischer Zeit. Er besaß im Gegensatz zu Hugh keine Bücher. David lag im Bett; er hatte an die Decke gestarrt, doch als wir ins Zimmer traten, machte er Anstalten, sich aufzurichten. Hobbey hob eine Hand.
»Nein, nein. Du zerrst an deinem Verband.«
David starrte mich erschrocken an. Wie er so dalag, sah er aus wie ein entsetzter kleiner Junge, der in der Falle saß, wobei die stoppeligen Wangen ihn nur noch mitleiderregender aussehen ließen.
»Wie geht es Euch, David?«, fragte ich sanft.
»Es tut weh«, antwortete er. »Der Doktor hat mich zusammengeflickt.«
Hobbey sagte: »David ist ein tapferer Bursche. Er hat nicht ein einziges Mal geschrien, nicht wahr, mein Sohn?« Er holte tief Luft. »Master Shardlake möchte dir sagen, dass er dich nicht verraten wird.«
Davids Augen füllten sich mit Tränen. »Ich war nicht bei Trost, Sir. Ich habe auf Euch geschossen, dann meine arme Mutter getötet. Ich konnte an nichts
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