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Der Pfeil der Rache

Der Pfeil der Rache

Titel: Der Pfeil der Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.J. Sansom
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nicht. Ich fragte: »Hat Master Shawms Euch nichts erzählt?«
    »Nein.« Sie wurde misstrauisch. »Wovon?«
    Ich holte tief Luft. »Ellen«, sagte ich sanft, »ich will nicht wieder die Vergangenheit aufrühren.« Eine angespannte Wachsamkeit trat in ihr Gesicht. Ich fuhr fort: »Aber ich war in Sussex. Ihr seid jetzt sicher vor diesen Männern.« Dass die sterblichen Reste ihres Vaters entdeckt worden waren, würde ich ihr verschweigen. »Die Königin persönlich zahlt jetzt Eure Gebühren. Und solltet Ihr jemals gehen wollen, so geht. Ihr seid frei, Ellen.«
    Sie blickte mich angstvoll an. »Was ist mit ihm geschehen? Mit – Philip?«
    Wieder zögerte ich. »Sagt es mir!«, verlangte sie.
    »Er ist tot, Ellen. Er war an Bord der
Mary Rose
und ist ertrunken.«
    Sie saß reglos da und starrte ins Leere. Dann flüsterte sie mit kaltem Zorn: »Es ist ihm recht geschehen.« Dasselbe hatte auch Emma gesagt, als sie vor Abigails Leiche stand.
    »Er hat Euch etwas Schreckliches angetan.«
    Sie sah mich an, ihr Blick war unendlich müde. »Und der Mann, der an jenem Tag bei ihm war? Was ist mit ihm?«
    Ich zögerte. »Kennt Ihr seinen Namen?«
    »Ich entsinne mich nur eines schmächtigen Burschen.« Ein Schauder erfasste ihren Leib. Und ich sah, wie tief die Empfindungen waren, die sie all diese vergeudeten Jahre zurückgehalten hatte.
    »Er ist jetzt ein hoher Beamter bei Hofe. Es ist besser, Ihr kennt den Namen nicht. Aber er kann Euch nichts mehr anhaben.«
    »Habt Ihr der Königin etwa erzählt, was man mir angetan hat?« Jetzt schwang Zorn in ihrer Stimme.
    »Es war der einzige Weg, um Euch zu beschützen.«
    Sie starrte ins Leere, und ihre Hände im Schoß zitterten. Dann legte sie die Arbeit beiseite, drehte sich um und blickte mir geradewegs ins Gesicht. »Ich hatte hier meinen Seelenfrieden gefunden«, sagte sie, »Ihr hättet Euch nicht einmischen sollen.«
    »Ich habe Euch von einer großen Bedrohung befreit.«
    Sie lachte bitter. »Dazu hättet Ihr vor neunzehn Jahren in Rolfswood sein müssen. Ihr redet, als würde ich mich auch nur im mindesten darum scheren, was jetzt mit mir geschieht. Das liegt hinter mir. Eine Weile war es mir nicht einerlei, als ich glaubte, Ihr würdet mich lieben. Jetzt sehe ich ein, dass es unmöglich ist. Wisst Ihr, wer es mir begreiflich machte?«
    »Nein.«
    »Euer Freund Guy. Oh, er sagte es nicht direkt, aber irgendwie gab er es mir zu verstehen. Er ist klug«, sagte sie bitter. »Aber Ihr habt mich zwei Jahre lang in dem Glauben belassen, es gebe noch Hoffnung. Ihr hattet nicht den Mut, mir die Wahrheit zu sagen. Ihr seid ein Hasenfuß, Matthew.«
    »Ich wäre fast gestorben bei dem Versuch, die Wahrheit über Euch herauszufinden!«, entfuhr es mir.
    »Ich hatte Euch nicht darum gebeten!« Sie holte einige Male tief Luft und sagte dann mit bitterer Verachtung: »Habt Ihr jemals einen Menschen geliebt, frage ich mich? Seid Ihr dazu imstande?«
    »Wir können uns nicht aussuchen, wen wir lieben. Ich liebe –« Ich hielt inne.
    »Es ist mir einerlei«, antwortete sie und wandte sich ab. »Lasst mich allein. Ich will Euch nicht mehr sehen. Ich hasse Euch jetzt.« Der Zorn hatte ihre Stimme verlassen, nur die Erschöpfung war geblieben.
    »Wollt Ihr das wirklich?«, fragte ich. »Dass ich nie mehr wiederkomme?«
    »Ja.« Noch immer blickte sie beiseite. »Und tief im Herzen wollt Ihr es auch. Das begreife ich jetzt. Wir Geisteskranke sehen die Dinge oft ganz klar.«
    »Ihr seid nicht geisteskrank.«
    »Ich sagte, Ihr sollt gehen.«
    Sie vermied meinen Blick, als ich durch die Tür ging, sie hinter mir schloss und durch das Gitter einen letzten Blick auf sie warf, ehe ich mich abwandte.
    * * *
    Ich ritt heim. In meinem Kopf herrschte Leere, ich konnte nicht denken, selbst den fremdländisch aussehenden Mann, der von einer Horde grölender Lehrburschen die Cheapside entlanggejagt wurde, nahm ich kaum zur Kenntnis. Ich führte Genesis in den Stall und begab mich wieder auf die Vorderseite des Hauses. Simon spähte aus einem Fenster im ersten Stock. Als ich die Tür öffnete, lief er die Treppe herunter, auf mich zu.
    »Master Shardlake –«
    »Was ist geschehen? Ist Josephine –«
    »Ihr geht es gut, Sir. Aber Mistress Tamasin – ihre Wirtschafterin ist gekommen, um Master Guy zu holen. Das Kind kommt zu früh, irgendetwas stimmt nicht, meint sie –«
    Ich machte kehrt und lief die Chancery Lane hinunter, vorbei an Rechtsanwälten, die die Köpfe nach mir drehten, bis zu

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