Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Pfeil der Rache

Der Pfeil der Rache

Titel: Der Pfeil der Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.J. Sansom
Vom Netzwerk:
zwecklos.«
    »Verzeiht mir, Bruder«, sprach ich ihn an. »Wie gelange ich zum Kontor?«
    Er blickte mich neugierig an. »Die Tür hinter Euch, Bruder. Seid Ihr neu hier?«
    »Ja.«
    Er klopfte sich auf die Hüfte, wo sein Beutel hing. Ich nickte. Der Knabe maß uns, einen Ausdruck verzweifelter Verwirrung im Blick. Ich pochte an die Tür des Kontors.
    * * *
    Der weitläufige Raum war von einer hölzernen Theke in zwei Hälften unterteilt. Im hinteren Bereich saß unter einem Fenster, mit Blick auf den sich verfinsternden Himmel, ein hagerer, grauhaariger Beamter in verstaubter Robe über sein Schreibpult gebeugt. Ein jüngerer Schreiber mit schmalem Gesicht ordnete Papiere in Regalschränke, die bis zur Decke reichten. Der Ältere blickte auf, legte die Feder beiseite und kam zu mir herüber. Sein zerfurchtes Gesicht war ohne Ausdruck, sein Blick jedoch scharf und abschätzend. Er verneigte sich knapp, legte seine tintenverschmierten Hände auf die Theke und starrte mich fragend an, gänzlich unbeeindruckt von meiner Sergeantenkappe. Die Urkundsbeamten hatten an allen Gerichtshöfen große Macht, normalerweise jedoch brachten sie den Barristern und Sergeanten eine gewisse Achtung entgegen. Der Court of Wards bildete da scheint’s eine Ausnahme.
    »Ja, Sir?«, fragte er gleichgültig.
    Ich öffnete meine Tasche und legte Michael Calfhills Vorladung auf die Theke. »Guten Tag. Mein Name ist Sergeant Shardlake. Ich möchte diesen Fall hier übernehmen. Meines Wissens hat Master Warner, der Rechtsbeistand der Königin, Anwalt Sewster davon in Kenntnis gesetzt.«
    Er warf einen Blick auf das Dokument, dann auf mich, und seine Miene wurde um einen Deut respektvoller. »Jawohl, Sir, mir wurde mitgeteilt, Ihr wäret dazu befugt. Jedoch soll ich Euch von Master Sewster sagen, dass Zeugnisse zugunsten des Klägers möglichst bald eingereicht werden müssen.«
    »Ich verstehe. Hat man Euch mitgeteilt, dass der Kläger inzwischen verstorben ist?«
    »Jawohl.« Er schüttelte bekümmert den Kopf. »Der Kläger tot, ein Anwalt, der erst vier Tage vor der Anhörung unterwiesen wird, keine Zeugenaussagen, keine Dokumente. Sir William wird es schwer haben. Der angemessene Ablauf des Verfahrens muss eingehalten werden. Schließlich stehen die Interessen von Kindern auf dem Spiel, nicht wahr?«
    »Ich wäre bereit, mich für jede Hilfe von Eurer Seite erkenntlich zu zeigen. Denn ich hoffe in Kürze auf neue Zeugenaussagen.« Meine Hand glitt unter die Robe, an meinen Beutel. »Master –«
    »Mylling, Sir.« Er hielt mir gemächlich die Hand hin. Ich warf einen Blick auf seinen jungen Kollegen, der noch immer Dokumente verstaute. »O, beachtet ihn gar nicht«, sagte Mylling. »Fünf Shilling in der neuen Währung, drei in echtem Silber, dann dürft Ihr sämtliche Dokumente in der Sache einsehen.«
    Ich runzelte missbilligend die Stirn. Das gesamte Rechts- und Regierungssystem basierte auf Schmiergeldern. Die beteiligten Parteien – Kaufleute, die die Armee unterstützten, oder potentielle Käufer von Klosterland – steckten den Urkundsbeamten Geld zu. Doch für gewöhnlich geschah dies im Verborgenen, durch teure »Geschenke«, als Zeichen gleichsam der persönlichen Wertschätzung. Nur wer allzu oft allzu viel einheimste, wie angeblich Rich im Jahr zuvor, der geriet in Schwierigkeiten. Dass ein Urkundsbeamter von einem Sergeanten so unverblümt Geld forderte, war schon bemerkenswert. Nun ja, ich befand mich eben im Court of Wards. Ich händigte dem Mann das Geld aus. Der junge Schreiber fuhr ungerührt in seiner Beschäftigung fort. Offenbar waren solche Zuwendungen hier an der Tagesordnung.
    Mylling schlug sogleich einen freundlicheren Ton an. »Ich trage Euch ein, Sir, und hole geschwind die Dokumente. Aber Sir, in Eurem eigenen Interesse: Ihr braucht Zeugen, die Master Calfhills Anschuldigungen glaubhaft bestätigen. Ich will ehrlich zu Euch sein, wie schon zu –« er geriet ins Stocken – »zu Master Calfhill.«
    »Michael Calfhill hat bei Euch Anklage erhoben?«, fragte ich.
    »Jawohl.« Mylling sah mich neugierig an. »Ihr habt ihn gekannt?«
    »Nein. Ich vertrete seit gestern seine Mutter. Was war er für ein Mensch?«
    Mylling überlegte kurz. »Eigenartig. Man sah ihm an, dass er noch nie vor Gericht gewesen war. Er sagte nur, einem jungen Mündel sei ein schreckliches Unrecht widerfahren, und verlangte, dass die Angelegenheit auf der Stelle Sir William zur Kenntnis gebracht werde.« Mylling stützte sich mit den

Weitere Kostenlose Bücher