Der Pfeil der Rache
bestimmten Fällen und Gesetzesaspekten gesammelt hatte. Ich musste mir die Regeln und Verfahren des Court of Wards in Erinnerung rufen. Zunächst machte ich mir allerdings Gedanken über Coldiron. Ich wünschte fast, ich hätte ihm vorhin im Garten den Laufpass gegeben, doch dann wäre außer Guy niemand hier, der sich um das Hauswesen und die beiden Küchenjungen kümmern konnte, falls ich tatsächlich nach Hampshire reiten musste; und Guy eine solche Last aufzubürden, erschien mir nicht zumutbar. Stattdessen würde ich mich morgen am Lincoln’s Inn ein wenig nach Dienstboten umhören. Ich brauchte einen verlässlichen Ersatz für Coldiron, ehe ich ihn vor die Tür setzte. Nur um Josephine tat es mir leid; ich konnte sie nicht in die schnöde Welt hinausstoßen, in der sie außer Coldiron keinen Menschen hatte. Ich verfluchte den Tag, an dem ich ihn eingestellt hatte.
Den Rest des Abends machte ich mir Notizen, und da es allmählich zu dämmern begann, rief ich zu Coldiron hinunter, er möge mir eine Kerze bringen. Ich hörte Josephine die Treppe herauftrappeln; sie brachte eine Kerze in die Stube, stellte sie mir auf den Schreibtisch, zog sich nach einem schnellen Knicks wieder zurück und trappelte wieder treppab.
Schließlich legte ich die Feder aus der Hand und lehnte mich zurück, um nachzudenken. Master Hobbey hatte zunächst nur einen Anteil des fraglichen Waldlandes erstanden, dazu die Klostergebäude, die er in ein Wohnhaus hatte umgestalten lassen; alsdann hatte er die Vormundschaften für die Kinder gekauft. Der finanzielle Aufwand für all diese Transaktionen war zweifellos beträchtlich gewesen, selbst für einen wohlhabenden Kaufmann. Zu wissen, welche Summen im Spiel waren, wäre durchaus interessant. Emma hatte, Bess Calfhill zufolge, den jungen David Hobbey nicht gemocht; doch meine Nachforschungen hatten ergeben, dass das Gericht dem Einspruch eines Mündels gegen eine arrangierte Hochzeit nur in den seltensten Ausnahmefällen stattgeben würde. Der Bräutigam musste gesellschaftlich entweder weit unter ihr stehen, ein Schurke sein oder mit einer Krankheit beziehungsweise Missbildung behaftet sein – beispielsweise einem Buckel, wie ich mit Ingrimm gelesen hatte –, damit das Vormundschaftsgericht die Vermählung aufgrund des Tatbestands der »Herabwürdigung« untersagte.
Doch dann war Emma gestorben. Und mit ihr Hobbeys Plan. Ihr Erbe war nun an Hugh übergegangen, und während ein unverheiratetes Mädchen dank einer merkwürdigen Gesetzeswendung schon mit vierzehn Jahren die Entlassung aus der Vormundschaft erwirken konnte, war dies einem Knaben erst mit einundzwanzig gestattet. Bess zufolge war Hugh vor sieben Jahren elf gewesen; mittlerweile wäre er also achtzehn; noch drei Jahre, ehe er in den Besitz seiner Ländereien käme.
Ich erhob mich und schritt auf und ab. Bis Hugh einundzwanzig wäre, hätte Hobbey nur ein Anrecht auf die normalen Erträge, die sein Land ihm einbrachte, und wenn es Waldland war, erhielte er keinerlei Einkünfte aus Pachtzinsen. Allerdings pflegten Eigentümer von Vormundschaften berüchtigterweise den Landbesitz ihrer Mündel systematisch zu schmälern, indem sie Profit zogen aus Vermögenswerten wie Holz und Schürfrechten.
Ein Buch im Regal fiel mir ins Auge: Roderick Mars’
Lamentation of a Christian against the City of London
: eine Hetzschrift gegen die gesellschaftlichen Missstände in London, die meinem Freund Roger gehört hatte. Ich schlug sie auf, weil ich mich einer Passage über die Vormundschaft entsann: »Gott verdamme diesen schändlichen Brauch; seine Gemeinheit stinkt zum Himmel!«
Ich schlug das Buch zu und blickte hinaus in den Garten. Es war schon fast Nacht; das Fenster stand offen, und Lavendelduft stieg zu mir auf. Ich hörte das Keckern eines Fuchses, Flügelflattern irgendwo. Fast wie auf dem Lande, dachte ich und kehrte im Geiste auf das Gut meiner Kindheit zurück. In diesem Augenblick mochte man kaum glauben, dass England zutiefst in der Krise steckte, dass allenthalben Bewaffnete durchs Land zogen, Armeen aufzogen, Schiffe sich im Ärmelkanal versammelten.
* * *
Am folgenden Morgen schlenderte ich die Chancery Lane entlang zum Fluss hinunter, um ein Boot nach Westminster zu nehmen. Als ich die Fleet Street überquerte, bemerkte ich, dass jemand das Stadttor Temple Bar mit Flugblättern gepflastert hatte, die an Londons Bürgermeister appellierten, er möge vor brandschatzenden »Pfaffen und Ausländern« warnen. Das
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