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Der Pfeil der Rache

Der Pfeil der Rache

Titel: Der Pfeil der Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.J. Sansom
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Ellbogen auf die Theke. »Er wirkte wütend, verstört. Und ich fragte mich zunächst, ob er noch ganz bei Trost sei, kam dann aber zu dem Schluss, dass er lediglich –« er überlegte kurz – »empört war, im höchsten Maße.«
    »Ja«, erwiderte ich. »So könnte man sagen.«
    Mylling drehte sich zu seinem Gehilfen um. »Die Papiere, Alabaster«, sagte er. Der junge Mann hatte wohl doch gelauscht, da er sogleich daranging, in den eselsohrigen Stapeln zu stöbern, und alsbald ein dickes Bündel zu uns herüberbrachte, welches von einem roten Band zusammengehalten war. Mylling löste die Schleife und reichte mir das Deckblatt. Ein Anklageformular, mit sauberer Handschrift ausgefüllt, die Unterschrift dieselbe wie auf der Abschiedsnotiz. Ich las:
    »Ich, Michael John Calfhill, ersuche das Hohe Gericht untertänigst, die Vormundschaft für Hugh Curteys zu prüfen, welche anno 1539 an Sir Nicholas Hobbey, den Herrn des Klostergutes Hoyland in Hampshire, übertragen wurde, da besagtem Hugh Curteys ein unsägliches Unrecht widerfahren ist, und durch richterlichen Beschluss zu verfügen, dass Sir Nicholas seiner Pflichten als Vormund enthoben werde.«
    Ich sah Mylling an. »Habt Ihr ihm etwa geholfen, den Antrag aufzusetzen?«, fragte ich. Urkundsbeamten stand dergleichen nicht zu, aber da Michael Calfhill die juristischen Formeln nicht gekannt haben dürfte, hatte Mylling ihm wahrscheinlich – gegen klingende Münze – unter die Arme gegriffen.
    »O ja. Ich sagte ihm, sein Gesuch müsse strenggenommen von einem Barrister unterzeichnet werden, aber er bestand darauf, dies selbst zu tun, an Ort und Stelle. Ich riet ihm, sich in der Wahl seiner Worte zu mäßigen, aber das wollte er nicht. Ich versuchte ehrlich, ihm zu helfen, denn er tat mir leid.« Ich war überrascht, denn Mylling sagte offenbar die Wahrheit. »Er werde Zeugen brauchen, gab ich zu bedenken, woraufhin er den Namen eines Geistlichen nannte, an den er sich wenden werde.«
    »Darf ich?« Ich griff nach der Akte. Das zweite Blatt unter Calfhills Gesuch enthielt wie erwartet die Stellungnahme des Verteidigers. Das Dokument war von Vincent Dyrick unterzeichnet worden, der erwartungsgemäß die Anschuldigung des Klägers kurzerhand als unzutreffend zurückwies. Die übrigen Dokumente waren älter.
    »Gibt es hier irgendeinen Ort, wo ich mir diese Akte in Ruhe ansehen könnte?«
    »Ich fürchte nicht, Sir. Gerichtsunterlagen dürfen diese Amtsstube nur für die Dauer der Anhörung verlassen. Stellt Euch dort an die Theke.« Meine Hand glitt wieder an den Beutel, denn längeres Stehen würde zweifellos meinem Rücken schaden, aber Mylling schüttelte den Kopf. »So lautet die Regel. Leider.«
    Also lehnte ich mich an die Theke und blätterte die Schriftstücke durch. Sie betrafen fast ausnahmslos die Vormundschaft für Hugh und Emma vor sechs Jahren: Ich fand den Antrag des ehrbaren Nicholas Hobbey, die Schätzungen des Grundbesitzes durch die zuständigen Beamten, den Heimfallrichter und den Lehensrichter. Hobbey hatte achtzig Pfund für die Vormundschaft und dreißig Pfund als amtliche Gebühr bezahlt. Eine beachtliche Summe.
    Ich fand auch eine Abschrift der Urkunde, die die Übertragung der Klostergebäude und des Waldstücks an Hobbey festhielten; er hatte dem Court of Augmentations fünfhundert Pfund dafür gezahlt. Es existierte eine Karte von den Wäldern, die einst im Besitz des Nonnenklosters gewesen waren; ich suchte nach einträglichen Pachten, aber der gesamte Grundbesitz, von Hugh wie der von Hobbey, schien ausschließlich aus Waldland zu bestehen – bis auf das Dorf Hoyland, das Hobbey 1538 zusammen mit den Klostergebäuden erstanden hatte. Er galt nun als Gutsherr und war damit gesellschaftlich aufgestiegen. Es war ein recht kleines Dorf, wie ich sah, bestand nur aus dreißig Häusern, also etwa zweihundert Personen. Ich fand ein Verzeichnis von den Pachtverhältnissen und sah, dass die meisten, bis auf ein paar freie Pächter, auf sieben bis zehn Jahre befristet waren. Der Pachtzins dürfte niedrig sein, dachte ich, brächte gewiss nicht viel ein. Kloster Hoyland befand sich acht Meilen nördlich von Portsmouth, wie ich las, »diesseits von Portsdown Hill, nördlich von Purbrook und südlich von Horndean«. Der Karte zufolge lag es unweit der Hauptstraße von London nach Portsmouth; ein idealer Standpunkt für den Holztransport.
    Ich richtete mich auf, um meinen Rücken zu entlasten. Hobbey hatte eine Menge Geld investiert – zunächst

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