Der Pfeil der Rache
leichtes Wams, schlüpfte in meine ledernen Reitstiefel und stieg im Morgengrauen die Treppe hinab. Ich musste daran denken, wie Joan, wann immer ich eine Reise angetreten hatte, schon vor mir aufgestanden war, eifrig darauf bedacht, dass es mir auch an nichts fehlte.
Am Fuße der Treppe warteten Coldiron und Josephine. Neben den beiden lagen meine Satteltaschen. Sie waren zu schwer, als dass ich sie hätte allein schleppen können, und so hatte ich Coldiron angewiesen, mich zur Anlegestelle unten am Fluss zu begleiten, wo Barak zu mir stoßen würde.
Josephine knickste artig. »Guten Morgen, Sir«, sagte Coldiron. »Ein guter Tag zum Reisen, wie es aussieht.« Seine Augen lechzten nach Neuigkeiten; er dachte, ich sei auf königlichen Befehl unterwegs.
»Guten Morgen. Was treibt dich so zeitig aus dem Bett, Josephine?«
»Sie hilft mir tragen«, antwortete Coldiron an ihrer statt. Josephine lächelte flüchtig und hielt einen kleinen Leinenbeutel in die Höhe. »Hier habe ich Euch Brot und Käse eingepackt, Sir, dazu ein paar Scheiben Schinken. Und eine süße Näscherei, die ich auf dem Markt erstanden habe.«
»Ich danke dir, Josephine.« Sie errötete und knickste wieder.
Draußen war es schon warm, der Himmel ohne Wolken. Ich ging die menschenleere Chancery Lane entlang, gefolgt von Coldiron und Josephine. Auch in der Fleet Street war es still, die Fensterläden an den Gebäuden noch geschlossen, einige Bettler schliefen in Torwegen. Dann bekam ich Herzklopfen beim Anblick von vier blaubekittelten Lehrburschen, die an der steinernen Säule des Tores Temple Bar lehnten. Sie lösten sich von der Mauer und näherten sich mit gemächlichen, schlendernden Schritten. Allesamt trugen sie Schwerter.
»Sonderwache«, sagte einer und trat uns entgegen. Er war ein dürrer, pickeliger junger Spund, allenfalls achtzehn Jahre alt.
»Ihr seid früh unterwegs, Sir. Die Ausgangssperre endet erst in einer Stunde.«
»Ich bin ein Barrister und muss bei den Temple Stairs ein Boot ergattern«, entgegnete ich kurz angebunden. »Die Leute hier sind meine Dienstboten.«
»Mein Herr hat wichtige Pflichten zu erledigen«, fuhr Coldiron den Burschen an. »Lass dich gefälligst rekrutieren, anstatt den Leuten hier Verdruss zu bereiten.«
Der Lehrbursche grinste. »Was ist mit deinem Auge passiert, Alter?«
»Hab’s bei Flodden verloren, Grünschnabel.«
»Kommt weiter«, sagte ich. Wir überquerten die Straße. »Krüppel!«, schrie einer der Burschen hinter uns her.
Wir bogen in die Middle Temple Lane. Ein dünner, frischer Flussnebel hüllte uns ein, als wir den Park durchschritten. Barak wartete bereits an den Stufen, die Packtasche zu seinen Füßen. Er hatte einen Fährmann gefunden, dessen Boot noch am Steg vertäut war. Die Laterne brannte, ein gelber Nimbus im Nebel.
»Seid Ihr bereit?«, fragte Barak. »Dieser Mann hier rudert uns nach Kingston.«
»Gut. Wie geht es Tamasin?«
»Sie hat viel geweint vorige Nacht. Ich habe mich aus dem Haus geschlichen, ohne sie zu wecken.« Er wandte sich ab. »Schaff die Taschen ins Boot, auch die von Barak«, befahl ich Coldiron.
Während der Alte die Stufen hinunterstieg, sagte ich leise zu Josephine: »Dr. Malton hat das Sagen, solange ich fort bin. Er wird dir ein Freund sein.« Ich fragte mich, ob sie wirklich begriffen hatte, dass sie sich an Guy wenden konnte, auch gegen den Vater, aber sie nickte nur, ihr Blick leer wie üblich.
Coldiron kam zurück, keuchte in übertriebenem Maße. Barak indes stieg hinunter zum Boot. »Auf Wiedersehen, Coldiron«, sagte ich. »Seht zu, dass Ihr tut, worum Dr. Malton Euch bittet.« In seine Augen trat wieder jenes bösartige Glitzern. Als ich die glitschigen Stufen hinabstieg, hätte er mich wohl am liebsten ins Wasser gestoßen, da mochte ich im Auftrag der Königin unterwegs sein, wie ich wollte.
* * *
Über dem Fluss lag dichter Nebel. Alles war still, der Ruderschlag das einzige Geräusch. Eine Schar Schwäne schwamm vorüber, entschwand schon bald dem Blick. Der Fährmann war alt, sein Gesicht zerfurcht und müde. Eine große Barkasse glitt an uns vorbei, mit einem Dutzend Männern an den Rudern. Etwa fünfzig junge Burschen saßen darin, allesamt das rote Sankt-Georgs-Kreuz auf der Brust des weißen Rocks. Sie waren unnatürlich still, ihre Gesichter bleiche Scheiben im Dunst. Wären die Ruderschläge nicht gewesen, hätte man meinen können, es handle sich um ein Geisterschiff.
Der Dunst verflog, als die Sonne höher stieg
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