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Der Pilot von der Donau

Der Pilot von der Donau

Titel: Der Pilot von der Donau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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zu verlassen. Von der nächsten Mahlzeit, die ihm gebracht wurde, wagte er ein Tischmesser zurückzubehalten, und da niemand den kleinen Diebstahl bemerkt hatte, wiederholte er ihn am nächsten Tage mit dem gleichen Erfolge… Jetzt sah er sich im Besitz von zwei bessern Werkzeugen als die, die er vorher benützt hatte. Freilich waren es nur recht schlechte, grob gearbeitete Messer; doch ihre Klingen waren ziemlich gut und die Griffe erleichterten wesentlich ihre Handhabung.
    Die Arbeit ging jetzt zwar schneller als früher, doch immer noch sehr langsam vonstatten. Der Zement hatte mit der Zeit die Härte des Granits angenommen und ließ sich nur sehr schwierig abschaben. Jeden Augenblick mußte die Arbeit überdies unterbrochen werden, bald wegen eines Rundgangs der Wärter, und bald weil der Richter Rona ihn rufen ließ, weiter Rede und Antwort zu stehen.
    Das Ergebnis dieser Befragungen war immer das nämliche: die Untersuchung kam nicht von der Stelle. Jedesmal erschienen zur Verhandlung eine Menge Zeugen, deren Aussagen jedoch auch nicht mehr Licht in die Angelegenheit brachten. Wenn die einen eine entfernte Ähnlichkeit zwischen Serge Ladko und dem Verbrecher finden wollten, den sie mehr oder weniger deutlich gesehen hatten oder dessen Opfer sie geworden waren, bestritten die andern eine solche Ähnlichkeit aufs bestimmteste. Rona mochte seinem Gefangnen nun falsche Bärte in allen möglichen Formen anlegen, seine Augen zeigen oder hinter der schwarzen Brille verbergen lassen, es gelang ihm nie, eine allseitig übereinstimmende Zeugenaussage zu erreichen. Auch wartete er ungeduldig darauf, daß der Zustand des bei dem letzten Einbruche der Bande von der Donau schwer verwundeten Christian Hoël es diesem erlaube, nach Semlin zu kommen.
    Den Zeugenverhören schenkte Serge Ladko keinerlei Interesse. Zu allen Experimenten des Richters erbötig, verkleidete er sich durch Perücken und falsche Bärte, setzte seine Brille auf oder nahm sie ab, alles ohne sich den geringsten Widerspruch zu erlauben. Seine Gedanken weilten nicht in dem Amtszimmer, sondern in der Zelle, wo die Eisenstange, die ihn von der Freiheit trennte, schon mehr und mehr frei zu liegen kam.
    Vier Tage brauchte er noch, bis das völlig erreicht war. Erst am Abend des 23. September war ihr unteres Ende bloßgelegt. Jetzt galt es noch, das obere zu durchsägen.
    Dieser Teil der Arbeit war der beschwerlichste. Mit einer Hand am Gitterreste hängend bewegte Ladko über das andre sein Werkzeug unablässig hin und her. Das bestand ja aber nur aus einer Messerklinge und drang nur sehr langsam in das Eisen ein. Anderseits nötigte ihn seine unbequeme Haltung häufig auszuruhen.
    Am 29. September endlich nach sechstägiger unglaublicher Bemühung, erschien Serge Ladko der Einschnitt tief genug. Bis auf wenige Millimeter war die Stange durchsägt. Es konnte ihn also keine übermäßige Anstrengung kosten, sie abzubiegen. Länger hätte die Arbeit auch nicht dauern dürfen, denn die zweite Messerklinge war dabei schon fast fadendünn geworden.
    Am folgenden Morgen und gleich nach dem Vorüberkommen der ersten Ronde, was ihm eine Stunde Sicherheit gewährte, ging Serge Ladko sofort an die Weiterführung seines Planes. Wie vorausgesehen, ließ sich die Eisenstange leicht biegen. Durch die hierdurch entstandene Öffnung zwängte er sich nach außen hinaus und gelangte, indem er sich mit den Armen emporzog, nach der Höhe der Butte, von wo aus er begierig Umschau hielt.
    Wie er vorausgesetzt hatte, trennten ihn etwa vierzehn Meter vom Erdboden. Das war ja nicht so viel, nicht hinuntergelangen zu können, wenn man nur einen Strick von genügender Länge hatte. Den Erdboden zu erreichen, darin lag aber nur die kleinere Schwierigkeit, denn wenn diese überwunden war, war die vorliegende Aufgabe noch keineswegs gelöst.
    Wie sich Serge Ladko überzeugen konnte, zog sich um das Gefängnis herum ein Gang für die Wachposten, der nach außen mit einer fast acht Meter hohen Mauer abgeschlossen war, über die hinaus Dächer von Häusern sichtbar wurden. Über diese Mauer galt es also noch hinwegzukommen, was auf den ersten Blick unausführbar zu sein schien.
    Nach der Entfernung der Häuser zu urteilen, mußte sich eine Straße um die Gefangenanstalt hinziehen. Hatte der Gefangne erst die erreicht, so konnte er sich als gerettet ansehen. Gab es aber ein Mittel, heil und gesund dahinzukommen?
    Nach einem Ausweg suchend, sah sich Serge Ladko aufmerksam nach links um, was er

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