Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Pilot von der Donau

Der Pilot von der Donau

Titel: Der Pilot von der Donau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
Vom Netzwerk:
Frau kaum von zwanzig Jahren, deren Züge Milde und Güte verrieten. Von den zwei Herren in ihrer Begleitung war der eine jedenfalls ihr Gatte. In dem andern war, nach der Sprechweise und Haltung des Wärters, wohl der Gefängnisdirektor zu vermuten.
    Offenbar handelte es sich hier um einen Besuch. Nach der respektvollen Ehrerbietung, die ihnen erwiesen wurde, zu urteilen, waren das hervorragende Persönlichkeiten, vielleicht ein fürstliches Paar auf der Reise, neben dem der Direktor die Rolle des Führers spielte.
    »Der gegenwärtige Insasse dieser Zelle, sagte er zu den Gästen, ist kein andrer als der berüchtigte Ladko, der Anführer der Räuberbande von der Donau, dessen Name gewiß auch zu Ihnen gedrungen ist.«
    Die junge Frau warf einen scheuen Blick auf den berühmten Verbrecher. Er hatte doch gar kein so schreckliches Aussehen, dieser berühmte Verbrecher. Nie hätte man einen Räuberhauptmann von so sagenhafter Grausamkeit vermutet in diesem abgemagerten Manne von so blassem Gesicht, dessen Augen eher gutmütig glänzten, jetzt aber auch von tiefer Verzweiflung zeugten.
    »Freilich behauptet er hartnäckig seine Unschuld, fügte der Direktor unparteiisch hinzu, an eine solche Melodie sind wir aber schon gewöhnt.«
    Er wies die Besucher dann noch auf die gute Ordnung und die tadellose Sauberkeit der Zelle hin. Im Eifer trat er sogar über deren Schwelle und stellte sich gerade unter das Fenster, um seinen Zuhörern das Gesicht zuzuwenden.
    Plötzlich hörte das Herz Serge Ladkos auf zu schlagen. Ohne es zu wissen, hatte der Redende sich ein wenig an der von Serge Ladko bearbeiteten Stelle gerieben, da bröckelte etwas Zement von der Wand ab und fiel als Staub auf den Boden. Gelockert durch eine weitere Bewegung, löste sich bald darauf in einem Stücke der Klumpen aus Brot und Zementstaub und fiel auf die Bodenfliesen herunter. Serge Ladko schüttelte vor Schrecken ein Frostschauer, als er sah, daß hierdurch die Eisenstange in ihrer untern Versenkung bloßgelegt worden war.
    Hatte das jemand gesehen?… Ja, wenigstens eine. Während ihr Gatte mit dem Direktor den elenden Tisch wie einen Gegenstand von größtem Interesse besichtigte, und dem respektvoll abgewendeten Wärter etwas in dem langen Korridor aufzufallen schien, hatte die Besucherin ihre Augen auf das in der Mauer ausgebrochne Loch geheftet, und der Ausdruck ihres Gesichtes zeigte, daß sie dessen stumme Sprache verstand.
    Serge Ladko erwartete, sie würde sprechen, mit einem Worte den Erfolg so unsäglicher Anstrengungen vernichten, und er fühlte sich dabei mehr dem Tode nahe.
     

    Der Blitzableiter war etwa zwei Meter von der Butte entfernt. (S. 211.)
     
    Etwas erblaßt, erhob die junge Frau die Augen auf den Gefangnen. Sah sie wohl die schweren Tränen, die sich langsam zwischen den Augenlidern des Elenden hervordrängten?… Verstand sie sein stummes Flehen und war sie sich dessen schrecklicher Verzweiflung bewußt?
    Zehn Sekunden voller Angst verstrichen; plötzlich drehte die Besucherin sich um und stieß einen leisen Schmerzensschrei aus. Die beiden Männer sprangen auf sie zu. Was war ihr zugestoßen?… O, nichts von Bedeutung, versicherte sie mit zitternder Stimme und erzwungenem Lächeln. Sie hatte sich nur unvorsichtigerweise den Knöchel etwas verrenkt. Das war alles.
    Während sich Serge Ladko jetzt unbemerkt, aber schnell vor die bloßliegende Eisenstange stellte, beeilten sich Ehemann, Direktor und Wärter, die Zelle zu verlassen. Die beiden ersten bemühten sich, die vorgeblich verletzte junge Frau zu unterstützen, und der Wärter schob schleunigst die Riegel wieder zu. Serge Ladko war allein.
    Wie schwoll seine Brust vor Dankbarkeit gegen das milde Wesen, gegen die Fremde, die mit ihm Mitleid gehabt hatte! Dank ihr war er gerettet. Ihr verdankte er das Leben; mehr als das Leben: die Freiheit!
    Er war überwältigt auf sein Lager zurückgesunken, seine Erregung war zu tief gewesen. Sein Gehirn schwankte ihm von diesem letzten Schicksalsschlag im Kopfe.
    Der Rest des Tages verlief ohne weitern Zwischenfall, und endlich ertönte von den Türmen der Stadt die neunte Stunde. Die Nacht war schon vorgeschritten. Schwere, über den Himmel hinziehende Wolken machten sie noch dunkler.
    Vom Gange vor den Zellen her verriet ein zunehmendes Geräusch das Nahen einer Ronde. An der Tür angekommen, machten die Leute Halt. Einer der Wärter legte das Auge an das Guckloch, zog sich aber gleich befriedigt zurück. Der Gefangene schlief;

Weitere Kostenlose Bücher