Der Pilot von der Donau
mitleidige Wärter wieder das Wort, man muß sich eben fügen. Der Herr Rona ist kein reiner Teufel, und vielleicht macht sich alles noch besser als ihr erwartet habt. Hier, ich will euch das da lassen; darin ist von euerm Lande die Rede. Das wird euch eine Zerstreuung sein.«
Der Gefangne blieb regungslos stehen; verstanden hatte er nichts.
Ebensowenig hörte er, wie die Riegel draußen vorgeschoben wurden, und ebensowenig sah er das Zeitungsblatt, das der Wärter, ohne etwas Schlechtes dabei zu denken, daß er gewisse strenge Vorschriften bezüglich des Verhaltens gegen Gefangne übertrat, diesem beim Weggehen auf den Tisch gelegt hatte.
Die Stunden verflossen. Der Tag ging zu Ende, nachher ebenso die Nacht und es wurde wieder Morgen. Auf seinem Stuhle zusammengebrochen, hatte Serge Ladko kein Bewußtsein vom Fluge der Zeit.
Als ihm aber der helle Tag ins Gesicht leuchtete, schien er aus seiner Betäubung zu erwachen. Er öffnete die Augen und sein glanzloser Blick irrte durch die Zelle. Das erste, was er bemerkte, war das Zeitungsblatt, das der mitleidige Wärter gestern bei ihm zurückgelassen hatte.
So aufgeschlagen, wie der es hingelegt hatte, lag es noch immer da und zeigte unter dem Titel einen mit fetten großen Buchstaben gedruckten besondern Hinweis. »Das Blutbad in Bulgarien« lautete dieser Hinweis, auf den der erste Blick Serge Ladkos fiel.
Er zitterte dabei und griff hastig nach dem Blatte. Jetzt wurde er wieder ganz klar im Kopfe und seine Augen glänzten, als er las.
Die Ereignisse, von denen er hier Kenntnis erhielt, bildeten gleichzeitig in ganz Europa das Tagesgespräch und riefen überall einen Schrei der Mißbilligung hervor. Seitdem gehören sie der Geschichte an und bilden in deren Buche nicht das schönste Blatt.
Wie zu Anfang unsrer Erzählung erwähnt war, befand sich zu jener Zeit der ganze Balkan im Aufstande. Seit dem Sommer 1876 hatte sich die Herzegowina empört, und die gegen sie geschickten ottomanischen Truppen hatten nichts ausrichten können. Im Mai 1876 erhob sich auch Bulgarien, und die Pforte beantwortete das damit, daß sie eine zahlreiche Armee in dem großen Dreieck Rustschuk-Widdin-Sofia ansammelte. Am 1. und 2. Juli desselben Jahres traten auch noch Serbien und Montenegro auf den Schauplatz, nachdem sie der Türkei hatten eine Kriegserklärung übergeben lassen. Die von dem russischen General befehligten Serben errangen zwar anfänglich einige kleine Erfolge mußten dann aber hinter ihre Grenze flüchten, und am 1. September sah der Fürst Milan sich genötigt, um einen zehntägigen Waffenstillstand zu bitten, während dessen er die christlichen Mächte um eine Intervention anging, die diese jedoch leider zu säumig waren, ihm zu bewilligen.
»Darauf begann, sagt Eduard Driault in seiner Geschichte der orientalischen Frage, die abstoßendste Periode dieser Kämpfe; sie erinnert an die Metzeleien von Chios zur Zeit der Erhebung Griechenlands. Hier waren es die Blutbäder in Bulgarien. Während des Kriegs gegen Serbien und Montenegro befürchtete die Pforte, daß der bulgarische Aufstand im Rücken ihres Heeres ihre Operationen gefährden könne. Ob der Statthalter von Bulgarien, Chefkat Pascha, vielleicht Befehl erhalten hatte, die Erhebung mit allen Mitteln zu ersticken? Das ist wenigstens wahrscheinlich. Große Horden aus Asien herangezogener Baschi-Bosuks und Zirkassier wurden nach Bulgarien geworfen, und binnen wenigen Tagen hatten sie dieses durch Feuer verwüstet und in Blut ertränkt. Sie ließen ihren wilden Leidenschaften ungehindert freien Lauf, brannten die Dörfer nieder, ermordeten unter großen Quälereien die Männer, schändeten die Frauen und zerstückelten die Kinder. Man zählte damals zwischen fünfundzwanzig-und dreißigtausend Opfer.«
Als er so las, perlte mancher Schweißtropfen über das Gesicht Serge Ladkos nieder. – Natscha! Was war bei dieser entsetzlichen Verwirrung aus Natscha geworden? Lebte sie noch oder war sie tot, ihr Leichnam vielleicht noch aufgeschlitzt und ebenso in Stücke zerschnitten wie der andrer unschuldiger Opfer, oder durch Kot und Schlamm und Blut geschleift und von den Hufen der Pferde zertreten?
Serge Ladko hatte sich erhoben, und wie ein Raubtier in seinem Käfig lief er wütend in seiner Zelle hin und her, als könnte er daraus einen Ausgang erspähen, um Natscha zu Hilfe zu fliegen.
Dieser Anfall von Verzweiflung dauerte nur kurze Zeit. Zur Vernunft zurückgekehrt, zwang er sich mit energischer Anstrengung
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