Der Pilot von der Donau
zur Ruhe und suchte dann mit klarem Gehirn nach Mitteln zur Wiedererlangung seiner Freiheit.
Sollte er den Richter aufsuchen, ihm ohne Umschweife die Wahrheit gestehen, und wenn nötig, sein Mitleid erflehen?… Nein, das wäre ein schlechtes Mittel. Welche Aussicht hatte er denn, letzt das Vertrauen des Beamten zu finden, nachdem er so lange beim Leugnen verharrt hatte? War er imstande, mit einem Worte den an dem Namen Ladko klebenden Verdacht zu besiegen, in einem Augenblicke der Anklagen ledig zu werden, die auf ihm lasteten? Nein. Auch dann wäre ja erst noch eine Untersuchung nötig, und die würde wochen-oder gar monatelang dauern.
Es blieb ihm also nichts übrig, als zu entfliehen.
Zum ersten Male, seit er darin schmachtete, untersuchte Serge Ladko seine Zelle. Das war schnell geschehen. Vier Mauern mit zwei Öffnungen, der Tür auf der einen und mit dem Fenster auf der andern Seite. Hinter den drei Wänden andre Zellen, andre Kerker… hinter dem Fenster allein die Freiheit.
Das Fenster, dessen lotrechter Querriegel fast die Decke erreichte, begann anderthalb Meter über dem Fußboden, und sein untrer Teil – das was man bei gewöhnlichen Fenstern die Fensterbank nennt – war unerreichbar, da eine Reihe dicker, in das Mauerwerk tief eingelassener Gitterstangen es verhinderte, sich da hinaufzuschwingen. Selbst nach Besiegung dieser Schwierigkeit wäre man dann noch einer zweiten begegnet. Vor dem Fenster schmiegte sich eine Art Butte an die Seiten und den Unterteil des Fensters an, so daß kein Blick nach außen möglich war und nur ein beschränktes Viereck des Himmels sichtbar blieb. Aber nicht nur zum Fliehen selbst, sondern allein, um ein Mittel dazu zu suchen, war es zuerst notwendig, das Hindernis des Gitters zu überwinden und dann sich oben auf die Butte zu schwingen um wenigstens die Umgebungen übersehen zu können.
Nach den Treppen zu urteilen, die er auf dem Wege zu Izar Rona hinuntersteigen mußte, mußte Serge Ladko im vierten Stockwerke der Gefangenanstalt untergebracht worden sein. Zwölf bis vierzehn Meter mochten ihn jedenfalls vom Erdboden trennen. Ob es ihm möglich war, die zu überwinden? Voller Ungeduld, darüber aufgeklärt zu sein, beschloß er, auf der Stelle ans Werk zu gehen.
Zunächst mußte er sich dazu ein passendes Werkzeug verschaffen. Man hatte ihm, als er eingesteckt war, rein alles abgenommen, und in seiner Zelle befand sich nichts, was ihm hätte nützlich sein können. Ein Tisch, ein Stuhl und eine Lagerstatt, die freilich nur aus einem magern, eine gemauerte Aushöhlung bedeckenden Strohsack bestand… das war sein gesamtes Mobiliar.
Vergebens suchte Ladko lange Zeit, bis er endlich, als er seine Kleidungsstücke zum hundertsten Male durchwühlte, darin einen harten Gegenstand fühlte. So wenig wie sein Kerkermeister hatte er bisher an das unbedeutende Ding – es war eine Hosenschnalle – gedacht. Welchen Wert erhielt jetzt die sonst unbeachtete Kleinigkeit, der einzige metallene Gegenstand, der in seinem Besitze war.
Mit der Schnalle in der Hand begann Serge Ladko nun, ohne eine Minute zu verlieren, die Mauer am untern Ende einer der Gitterstangen anzugreifen, und der von den Stahlspitzen geritzte Stein fing an als Staub herunter zu fallen. Diese an sich langsame und mühselige Arbeit wurde noch erschwert durch die unausgesetzte Überwachung, der der Gefangne unterlag; da verging keine Stunde, ohne daß ein Wärter gekommen wäre, der nicht durch die kleine Öffnung in der Tür hineingesehen hätte. Deshalb galt es auch, immer gespannt auf jedes Geräusch draußen aufzupassen und beim geringsten Zeichen von Gefahr die Arbeit zu unterbrechen und jede verdächtige Spur zu verbergen.
Dazu benützte Serge Ladko sein Brot. Dieses Brot nahm, vermengt mit dem von der Mauer herabfallenden Staube, hinreichend die Farbe des Steines an und wurde zu einem wirklichen Kitt, womit das immer größer werdende Loch der Mauer verdeckt wurde. Die noch übrigen Abfälle von dem Abkratzen der Mauer verbarg er in der Höhlung unter seinem Lager.
Nach zwölfstündiger Anstrengung war die Eisenstange auf die Länge von drei Zentimetern bloß gelegt, die Schnalle hatte zuletzt aber keine guten Spitzen mehr. Serge Ladko zerbrach die Armatur der Schnalle und machte aus den Stücken ebensoviele Werkzeuge. Zwölf Stunden später waren auch diese Bruchstückchen Stahl völlig aufgebraucht.
Glücklicherweise schien das Glück, das dem Gefangenen hier ja schon gelächelt hatte, ihn nicht
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