Der Pilot von der Donau
nicht unterscheiden.
Serge Ladko glitt noch etwas tiefer hinunter und hielt sich an einer der untern Krampen fest. Hier befand er sich immer noch zwei bis drei Meter über der Mauer, die er übersteigen mußte.
Jetzt in gesicherter Lage, konnte er sich schon schnellere Bewegungen erlauben. Nur einen Augenblick brauchte er, das Seil abzurollen, es hinter der Ableiterstange hindurchzuziehen und beide Enden so zu verknüpfen, daß sie ein Seil ohne Ende bildeten. Dessen nötige Länge hatte er annähernd berechnet, und nun warf er es über den Kamm der Umfassungsmauer hinweg und bildete endlich von dem einen Strange eine Schlinge, wie mit einem Lasso, die er auch über die Mauer in der Hoffnung warf, sie an einem der äußern hervorspringenden Steine hängen bleiben zu sehen.
Die Sache gestaltete sich recht schwierig. Bei der Dunkelheit, die ihm das Ziel verbarg, konnte er nur auf den Zufall rechnen.
Mehr als zwanzigmal war das Seil vergeblich hinübergeworfen worden, als es endlich hängen blieb. Serge Ladko zerrte vergeblich daran. Es hatte gut gefaßt und gab nicht nach. Der Versuch war also geglückt. Das eine Ende hatte sich um einen der äußern Steinvorsprünge gewickelt, und jetzt war über den Rundgang eine Art Steg hergestellt.
Allerdings ein gebrechlicher Steg, der ja zerreißen oder von dem Stein, woran er hing, sich lösen konnte. Im ersten Falle war die unausbleibliche Folge ein furchtbarer Sturz aus der Höhe, im zweiten würde seine menschliche Last wie von einem Schwunghebel gegen die Mauer des Gefängnisses geschleudert und zerschmettert werden.
Einen Augenblick zögerte Serge Ladko gegenüber einer solchen Gefahr. Nach starker Spannung seines Seiles knotete er die beiden Enden nochmals zusammen, und bereit, sich hinüberzuschwingen, lauschte er nur noch einmal auf den Schritt des Wachpostens.
Der befand sich jetzt gerade unter dem Flüchtling, entfernte sich aber gleich, wendete sich dann um die Ecke des Gebäudes, und der Laut seiner Schritte wurde wieder schwächer, bis er ganz erlosch. Nun galt es ohne eine Sekunde zu verlieren, sich seine Abwesenheit zunutze zu machen.
Serge Ladko drang auf dem lustigen Wege vor. Zwischen Himmel und Erde schwebend, bewegte er sich nur gleichmäßig und sanft vorwärts, ohne sich wegen der Senkung des Seiles zu beunruhigen, die in der Mitte des Weges natürlich am stärksten wurde. Er wollte hinüber, er würde hinüberkommen.
So geschah es auch. In weniger als einer Minute war er über den schwindelnden Abgrund hinweg und hatte den Kamm der Mauer erreicht.
Ohne sich Rast zu gönnen, beeilte er sich, von der Gewißheit des Erfolgs angefeuert, nur noch mehr. Es waren kaum zehn Minuten verstrichen, seit er seine Zelle verlassen hatte, ihm schienen diese zehn Minuten aber länger als eine Stunde gedauert zu haben, und er befürchtete, daß eine Ronde jetzt schon wieder nach ihm sehen könnte. Dann wurde seine Flucht wahrscheinlich entdeckt, auch trotz der Vorsicht, womit er seine Decke gelegt hatte. Es war also nötig, vorher schon weit weg zu sein. Die Jolle lag ja da, nur zwei Schritte vor ihm. Einige Ruderschläge müßten genügen, sie aus dem Machtbereich seiner Verfolger zu bringen.
Serge Ladko unterbrach seine Arbeit allemal, wenn der Soldat nahekam. Darauf aber knüpfte er eifrigst das Seil ab, zog es an sich heran und verdoppelte es von neuem, wonach er die so gebildete Schlinge um einen der Mauervorsprünge im Innern wand, und nachdem er sich überzeugt hatte, daß die Straße leer war, begann er sich herabzulassen.
Glücklich zur Erde gelangt, ließ er sofort das Seil zu seinen Füßen niederfallen und rollte es zu einem Packen zusammen. Jetzt war alles beendet… er war frei und von seiner Flucht würde keine Spur zurückbleiben.
Doch als er seine Jolle aufsuchen wollte, ertönte in der Nacht plötzlich eine Stimme.
»Alle Wetter! schallte es von weniger als zehn Schritt her, auf Wort: das ist doch Herr Ilia Brusch!«
Serge Ladko durchzitterte ein Gefühl der Freude. Erklärte sich das Schicksal endlich zu seinen Gunsten, da es ihm einen Freund zu Hilfe sandte?
»Herr Jäger!« antwortete er mit freudiger Stimme, während ein Mann aus dem Dunkel hervortrat und auf ihn zuging.
Fünfzehntes Kapitel.
Nahe am Ziele.
Am 10. Oktober erglänzte das Morgenrot zum neunten Male, seit die Jolle wieder die Donau hinunterglitt. In den vorhergegangenen Tagen hatte sie fast siebenhundert Kilometer zurückgelegt. Sie näherte sich jetzt dem Orte, wo die
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