Der Pilot
Gewißheit verlieh ihm Flügel.
Han schlitterte um die letzte Biegung und griff sich den Raumanzug, den er hinter Gerätschaften zum Auftanken von Schiffen gestopft hatte. Der Helm baumelte über seinen Arm herab und bohrte sich schmerzhaft in seinen Leib, als er hastig den gestohlenen Code eingab, der ihm die Luftschleuse öffnen sollte.
Sekunden vergingen. Dem Lärm nach zu urteilen, rückten seine Verfolger immer näher. Doch bestimmt dachten sie, er sei zu den Fährenhangars unterwegs oder vielleicht sogar zu den Rettungskapseln. Niemand an Bord würde ihn für verrückt genug halten, sich auf einem Robotfrachter davonstehlen zu wollen – zumindest verließ Han sich darauf.
Die Schleuse öffnete sich fauchend. Han sprang in die Kammer, zerrte den Raumanzug hinter sich her und schloß die Luke. Er prüfte seinen Sauerstoffvorrat. Voll! Gut. Er hatte ursprünglich vorgehabt, ein paar zusätzliche Lufttornister mitzunehmen, aber er wagte es nicht, jetzt noch einmal umzukehren. Der Tornister an dem Raumanzug würde ihn zwei Tage lang versorgen; das sollte genügen, es sei denn, die Traum erwies sich als besonders langsames Schiff. Da es sich um eine automatische Drohne handelte, konnte Han unmöglich feststellen, welchen Kurs der Frachter einschlagen oder wie schnell er fliegen sollte.
Han verzog das Gesicht. Nur ein Verzweifelter konnte einen solchen Fluchtweg wählen. Und er war verzweifelt. Er hoffte nur, nicht als toter Mann auf Ylesia zu landen, weil ihm auf der Reise die Luft ausging.
Mal sehen… Proviant… aufgefüllt. Wasserreservoir… voll. Sehr gut. Typisch Captain Shrike: Stets sorgte er dafür, daß sich alle Ausrüstungsgegenstände an Bord seines Schiffes in einem tadellosen Zustand befanden.
Han zog den Raumanzug über den grauen Schiffsoverall und schloß die Siegelnaht an der Vorderseite. Mit plumpen, in Handschuhen steckenden Fingern hob er den Helm auf und stülpte ihn sich über den Kopf. Er war beinahe vollständig transparent, so daß Han, außer nach hinten, nach allen Richtungen freie Sicht hatte. Der untere Rand des Helms war mit einer halbrunden Front von Holofeldern ausgestattet, die seine Vitalfunktionen, die Sauerstoffreserven sowie alle übrigen lebensnotwendigen Informationen anzeigten. Han konnte außerdem in gewisser Weise mit dem Anzug »kommunizieren«, indem er mit dem Kinn gegen die Sprechtaste tippte und der schützenden Kombination Instruktionen hinsichtlich der Temperatur, des Luftgemischs und so weiter erteilte.
Okay, das war’s, dachte der junge Mann und stapfte zu der Verbindungsluke. Er tippte die finale Sequenz ein, um den Druckausgleich zwischen der Schleusenkammer und der Ylesianischer Traum herzustellen. Han vernahm ein schwaches Zischen, als die Luft aus der Kammer gepumpt wurde. Da die Traum ein Automat war, benötigte das Schiff keine Atemluft, um seinen Dienst zuverlässig zu verrichten. Im Innern herrschte das Vakuum.
Endlich öffnete sich die zweite Luke, und Han ging an Bord.
Das Schiff war bis unter die Decke mit Ausrüstung und Fracht angefüllt; die Laufgänge waren niedrig und eng. Die Traum war nicht dafür konstruiert, einer Crew Bequemlichkeit zu bieten; lebendige Wesen betraten den Frachter sonst nur zu Wartungszwecken, so daß Han sich seitlich durch die Luke schieben mußte. Der Junge empfand eine flüchtige Dankbarkeit dafür, daß alle technischen Standardeinrichtungen für den Betrieb unter Schwerkraftbedingungen konzipiert waren, andernfalls hätte er sich mit Nullgravitation zufriedengeben müssen – und das wäre ein echtes Problem gewesen.
Seit er alt genug war, auch gefährliche Pflichten zu übernehmen, hatte er die Händlerglück gelegentlich gemeinsam mit den Schweißern verlassen, um, mit dem Schiff nur durch eine hauchdünne Nabelschnur verbunden, in Schutzkleidung im leeren Raum zu arbeiten. Am Anfang war das noch recht aufregend gewesen, aber Han machte sich nicht viel aus der Schwerelosigkeit, und er lernte bald, niemals nach »unten« zu blicken. Unter sich nichts als Lichtjahre leeren Raums zu wissen verursachte ihm jedesmal ein heftiges Schwindelgefühl.
Han ging mit schweren Schritten in Richtung »Kommandobrücke«, da er annahm, daß dies der am großzügigsten angelegte Raum an Bord sein würde. Er gelangte im Nu an sein Ziel – die Traum war ein sehr kleines Schiff. Falls die Frachtbriefe stimmten, hatte es eine Ladung Glitzerstim feinster Qualität geliefert und würde nun mit hochwertigen elektronischen
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