Der Piratenfuerst
Bolitho, daß Strangs Haltung keineswegs Geringschätzung ausdrückte, denn als er näher kam, sah er, daß der Gouverneur aufgestanden und nicht, wie er zunächst gedacht hatte, in seinem Sessel sitzen geblieben war.
»Besten Dank, Sir.«
Bolitho versuchte, seine Überraschung oder, was schlimmer war, sein Mitleid zu verbergen. Bis zum Gürtel war Sir Montagu ein normal gebauter, wenn auch schmächtiger Mann. Aber seine Beine waren zwergenhaft kurz, und seine schmalen Hände schienen bis zu den Knien zu hängen.
Im gleichen knappen Ton fuhr Strang fort: »Bitte nehmen Sie Platz. Ich habe Ihnen einiges zu sagen, bevor wir zu den anderen gehen.« Er musterte ihn von oben bis unten und sprach dann weiter: »Ich habe Ihren Bericht gelesen und auch die Berichte gewisser Augenzeugen. Die Undine ist schnell gesegelt, und Ihr Verhalten war ausgezeichnet. Die Rettung der Überlebenden der Nervion und Ihre wenn auch nur teilweise erfolgreiche Aktion gegen das Sklavenschiff waren so ziemlich das Erfreulichste, was ich heute zu hören bekam.«
Bolitho nahm auf einem mächtigen Sessel Platz und bemerkte erst jetzt, daß der riesige Fächer über seinem Kopf von einem winzigen Inder bewegt wurde, der scheinbar schlafend in einer entfernten Ecke saß, mit dem nackten Fuß regelmäßig an einem Seil zog und so den Fächer in Schwung hielt.
Strang trat wieder an seinen Schreibtisch und setzte sich. Wahrscheinlich, dachte Bolitho, benahm er sich immer so, wenn jemand kam, den er noch nicht kannte. Er wollte es hinter sich bringen und dem Besucher Verlegenheit ersparen. Bolitho hatte gehört, daß Strang schon seit vielen Jahren als Repräsentant der Regierung und Ratgeber in Handels- und Eingeborenenangelegenheiten in Indien stationiert war. Ein sehr bedeutender Mann. Kein Wunder, daß er lieber hier draußen auf hohem Posten saß, als daß er sich in London der ständigen Demütigung taktloser Blicke aussetzte.
»Also, Bolitho, zur Sache«, begann Sir Montagu gemessen.
»Ich habe lange auf Depeschen warten müssen, ohne zu wissen, ob meine ursprünglichen Vorschläge angenommen wurden. Der Verlust der Nervion war ein schwerer Schlag, aber Ihr Entschluß, die Reise auf eigene Faust fortzusetzen, ohne erst Befehle abzuwarten, mildert ihn bis zu einem gewissen Grad. Don Puigserver ist voller Bewunderung für Sie, doch ob uns das nützt oder schadet, bleibt abzuwarten.« Die Augen unter den schweren Brauen blitzten ärgerlich. »Die Spanier haben in Teluk Pendang vieles verscherzt. Schwert und Kruzifix waren so ziemlich das einzige, was sie den Eingeborenen zu bieten hatten.«
Bolitho preßte die Hände zusammen und versuchte, sich von Strangs Betrachtungen nicht ablenken zu lassen. Also lief sein Auftrag weiter, die Undine würde nach Teluk Pendang segeln. Strangs scharfe Stimme unterbrach seine Überlegungen. »Sie denken bereits voraus, wie ich sehe. Erlauben Sie mir, ein paar Kleinigkeiten hinzuzufügen.«
Weit draußen hörte Bolitho ein Hornsignal; es klang seltsam melancholisch. Strang bemerkte seinen Gesichtsausdruck und sagte: »Wir haben während des Krieges viel durchgemacht. Hyder Ali, der Herrscher von Mysore, der die Briten grimmig haßt, bekam reichlich Unterstützung durch die Franzosen. Ohne unsere Kriegsflotte würde heute das Lilienbanner und nicht der Union Jack hier wehen, fürchte ich.« Nüchterner fuhr er fort: »Aber das hat mit Ihrer Aufgabe nichts zu tun. Je eher wir in der Pendang Bay einen britischen Gouverneur einsetzen können, um so besser. Seit Kriegsende herrscht in der dortigen spanischen Garnison, die vorwiegend aus eingeborenen Soldaten besteht, ein einziges Chaos. Fieber und Aufsässigkeit machen einen geordneten Dienstbetrieb unmöglich. Es überrascht mich nicht, daß der König von Spanien diesen Stützpunkt loswerden will.« Seine Stimme wurde entschlossen.
»Doch unter unserem Schutz wird er gedeihen. Der eingeborene Herrscher ist ziemlich harmlos, sonst hätte er die spanische Besatzung gar nicht erst am Leben gelassen. Aber weiter westlich liegt ein großes Gebiet, kaum erforscht, von dem aus ein anderer, weniger freundlicher Fürst namens Muljadi ständig Raubzüge unternimmt. Er muß im Zaum gehalten werden, wenn wir unsere Einflußsphäre ausdehnen wollen, verstehen Sie?«
Nachdenklich nickte Bolitho. »Jawohl, Sir. Sie tragen große Verantwortung.«
»Gewiß. Der Wind zaust immer den Wipfel des Baumes am meisten, Bolitho.«
»Ich bin mir noch nicht klar, was ich dabei tun
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