Der Piratenfuerst
küßte sie, versuchte zu begreifen, was er tat, sah alle Gefahren voraus – doch sie waren ihm völlig gleichgültig.
»Es ist ganz gut, daß wir nicht auf demselben Schiff reisen, Captain!« Lachend zog sie seine Hand an ihre Brust. »Fühlen Sie, wie mein Herz schon jetzt klopft? Eine Woche oder auch nur einen Tag – was da alles passieren könnte!«
Bolitho trat an dem Posten vorbei in die Kajüte. Diese Minuten gingen ihm nicht aus dem Sinn.
Conway bestrich sich eben einen Zwieback dick mit Sirup; sein schütteres Haar war von der leichten Brise zerzaust, die durch ein offenes Heckfenster hereindrang.
»Wie spät ist es, Bolitho?«
»Wie – spät, Sir?«
Conway warf ihm einen verschlagenen Blick zu, ehe er in seinen Zwieback biß. »Ich bemerkte, daß Sie Ihre, äh, neue Uhr in der Hand hatten und dachte, die Uhrzeit wäre irgendwie von Wichtigkeit.«
Bolitho starrte ihn verdutzt an. Wieder kam er sich vor wie ein Midshipman vor seinem Captain. Dann grinste er freimütig.
»Es war nur eine Erinnerung, nichts weiter.«
Conway schnaubte verächtlich durch die Nase. »Kann ich mir lebhaft vorstellen.«
»Ein schöner Anblick, Thomas.« Bolitho ließ das Teleskop sinken und wischte sich die Stirn mit dem Handrücken. Gnadenlos brannte die Sonne herab, aber wie die meisten Männer an Deck oder oben in den Wanten spürte er sie im Augenblick nicht. Fünfzehn Tage seit Madras, und trotz des widrigen Windes hatte die Undine gute Fahrt gemacht. Schon oft in seiner Fahrenszeit hatte Bolitho Land gesichtet; aber jedesmal, wenn er nach den Zufällen, von denen die Seefahrt letztlich abhing, das Ziel der Reise vor sich sah, erregte ihn der Anblick der Küste aufs neue.
Und jetzt sah er, undeutlich wegen des Gleißens von Meer und Himmel, ein Fleckchen Grün an Backbord voraus, und wieder überkamen ihn Erregung und Befriedigung. Das war die schmalste Stelle der Straße von Malakka. Steuerbords, selbst für den Ausguck im Masttopp unsichtbar, lag die riesige, wie ein Krummschwert gebogene Insel Sumatra, als wolle sie die Meerenge abriegeln, so daß sie in alle Ewigkeit auf fremden Meeren segeln mußten.
»Kommt mir ungemütlich eng vor, Sir«, bemerkte Herrick. Bolitho lächelte. »Breiter als der Ärmelkanal, Thomas. Der Steuermann schwört, es wäre der sicherste Kurs.«
»Vielleicht.« Herrick beschattete die Augen mit der Hand.
»Das ist also Malakka? Kaum zu glauben, daß wir überhaupt so weit gekommen sind.«
»Und in etwa fünf Tagen werden wir mit Gottes Hilfe in der Pendang Bay Anker werfen.« Er sah Zweifel in Herricks blauen Augen. »Na los, Thomas, loben Sie unser Glück!«
»Ja, Sir. Ich weiß recht gut, daß es eine schnelle Reise war, und ich bin ebenso zufrieden wie Sie.« Er fingerte an seiner Gürtelschnalle herum. »Aber etwas anderes macht mir mehr Sorgen.«
»Aha.« Bolihto wußte, was kommen würde. Er hatte wohl gemerkt, daß Herrick in diesen zwei Wochen mit jedem Tag besorgter aussah. Da er sehr viel Zeit mit dem Admiral verbringen mußte, hatte er wenig Gelegenheit gehabt, mit Herrick zusammen zu sein: mal ein Gang über Deck vor Sonnenuntergang, eine Pfeife Tabak, ein Glas Wein miteinander.
Jetzt sprach Herrick es unverblümt aus. »Alle wissen Bescheid, Sir. Es steht mir nicht zu, über Ihr Verhalten zu urteilen, aber...«
»Aber das ist genau das, was Sie jetzt tun, nicht wahr?«
Bolitho lächelte nachdenklich. »Ist schon gut, Thomas, ich reiße Ihnen nicht den Kopf ab.«
Doch Herrick blieb ernst. »Es ist kein Spaß, Sir. Die Lady ist schließlich mit einem hochgestellten Gouvernementsbeamten verheiratet. Wenn diese Affäre nach London durchsickert, dann sind Sie in Gefahr, und das ist eine Tatsache.«
»Vielen Dank für Ihre Besorgnis.« Bolitho spähte voraus. Weit vor dem träge tanzenden Bugspriet der Undine segelte die Rosalind an Untiefen und Sandbänken vorbei, wie zweifellos schon manches liebe Mal.
»Aber darüber möchte ich nicht reden. Auch nicht mit Ihnen; schließlich halten Sie alles, was ich dazu sage, für verkehrt.«
»Gewiß, Sir, ich bitte um Entschuldigung.« Aber dickköpfig redete er weiter. »Ich kann einfach nicht dabeistehen und zusehen, wie Sie durch anderer Leute Schuld kaputtgehen. Ich muß wenigstens versuchen, Ihnen zu helfen.«
Bolitho ergriff seinen Arm. »Trotzdem wollen wir über diese Angelegenheit nicht mehr reden, Thomas. Einverstanden?«
»Aye, Sir.« Aber Herrick sah dabei unglücklich aus. »Wenn Sie es so haben
Weitere Kostenlose Bücher