Der Piratenlord
verschwinden wieder. “
„Verschwinden?“ Obwohl Louisas schönes Gesicht im Laternenlicht aschfahl war, klang sie genauso nüchtern wie sonst auch. „Nur auf das Wort unseres guten Captains hin? Das glaube ich nicht. Außerdem würde er unsertwegen bestimmt nicht lügen. Wir sind das einzig Wertvolle, was er den Piraten zur Beschwichtigung überlassen kann.“
Die kalten Worte ließen die Frauen schaudern. Als Sara scherzhaft zu Jordan gesagt hatte, dass sie von Piraten bedrängt werden könnten, hatte sie nicht im Traum daran gedacht, es würde jemals eintreffen. In diesen Gewässern sollte es eigentlich überhaupt keine Piraten mehr geben.
Es muss eine andere Erklärung für das Auftauchen des fremden Schiffes geben, dachte sie verzweifelt. Jeden Moment würde die Besatzung zu ihnen herunterkommen und ihnen mitteilen, dass lediglich ein britisches Marineschiff sie geentert hätte, weil sie Vorräte haben wollten. Nein, das ergab keinen Sinn. Sie waren der Insel Santiago noch so nahe, wo Nahrung beschafft werden konnte.
Wenn sie und die anderen bloß verhindern könnten, dass die Piraten in den Frachtraum eindrangen. Doch sie besaßen nichts, mit dem sie sich hätten verteidigen können, weil man den Frauen nichts gegeben hatte, mit dem sie sich gegen ihre Bewacher hätten wehren können.
Niemand rührte sich von der Stelle. Jedes Knirschen des Schiffs verstärkte die Spannung in der heißen, stickigen Luft des Frachtraums. Selbst die Kinder schienen jetzt den Atem anzuhalten und darauf zu warten, was mit ihnen geschehen würde.
„Oh, wie sehr wünschte ich, dass Petey . . . ich, ich meine Mr. Hargraves . . . uns hier unten beschützen könnte“, platzte Ann in die unheilvolle Stille heraus.
„Auch dein Mr. Hargraves kann eine Bande von Piraten nicht aufhalten, Annie“, erwiderte Louisa. „Er ist nämlich nicht Gott. Kein Mensch der Welt kann uns jetzt vor den unaussprechlichen Dingen schützen, zu denen wir gezwungen werden ..."
„Das reicht, Louisa“, sagte Sara scharf. „Sie erschrecken die Kinder. Und wir alle müssen nicht unbedingt hören . . .“
Sie hielt inne, als die Luke geöffnet wurde. Die Frauen wandten sich der Leiter zu, die Augen in der schwach beleuchteten Zelle angstvoll aufgerissen.
Doch es war kein Pirat, der die Leiter herabstieg, sondern Captain Rogers leichtfüßiger Kabinensteward. Als die Frauen ihn erkannten, seufzten sie erleichtert auf und drängten zur Leiter.
„Was ist los?“ rief eine Frau.
„Sind das wirklich Piraten?“ wollte eine andere wissen. Der Steward blieb auf der Hälfte der Leiter stehen. „Ich soll euch sagen, dass ihr eure Sachen zusammenpacken und an Deck heraufkommen sollt.“ Unter dem rußverschmierten Gesicht war er blass, und seine mageren Beine zitterten. „Wer hat dich geschickt?“ fragte Sara und trat vor. „Captain Horn, Miss. Von der Satyr. Sein Schiff hat uns gekapert.“
Die Satyr. Sie glaubte, von diesem Schiff schon gehört zu haben, doch sie konnte sich nicht genau erinnern. „Ist dieser Captain Horn ein Pirat?“
Der Junge sah sie an, als sei sie nicht ganz bei Sinnen. „Ja, Miss. Jeder weiß das.“
Es heiterte sie nicht auf, dass er ihre Befürchtungen bestätigte. „Und warum hat er darum gebeten, dass die Frauen ihre Sachen zusammenpacken?“
„Ich weiß es nicht, Miss, aber . . .“
„Hör schon auf mit dem Gerede, Bursche“, rief eine heisere Stimme von oben herab. „Sag ihnen, dass sie sofort hier oben erscheinen sollen. Captain Horn möchte alle sofort an Deck sehen, oder sie ziehen seinen Zorn auf sich!“
Der drohende Klang stürzte die Frauen in helle Aufregung. Sie hasteten umher, rafften ihre spärliche Habe zusammen, riefen ihre Kinder zur Ordnung und zogen sich Schuhe an, denn viele waren barfuß herumgelaufen.
Kurz darauf eilten sie mit ihren groben Segeltuchtaschen zur Leiter. Die meisten hatten sogar das Material für ihre Steppdecken mitgenommen. Doch noch ehe sie die steilen Leitersprossen erklimmen konnten, trat Sara vor sie hin. Sie würde sie jetzt nicht im Stich lassen. Schließlich musste jemand für die Frauen sprechen.
„Hören Sie mich bitte an. Erinnern Sie sich an all das, worüber wir geredet haben. Ganz egal, was man Ihnen antun wird, Ihre Seele ist unzerstörbar.“
Ihre Worte schienen den Frauen Mut zu machen, doch es war eine traurige Gruppe, die ihr die Leiter hinauf, über Zwischendecks hinweg und dann zum oberen Deck folgte. Der Anblick, der sich Sara bot, als sie in
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