Der Pistoleiro: Die wahre Geschichte eines Auftragsmörders
Neffen, der unbeholfen schwieg und starr auf den Boden blickte, den Arm um die Schulter.
»Perfekt. Ich bin sicher, der Junge wird uns nützlich sein.«
Carlos Marra war so begeistert von Júlio, dass er ihn am liebsten sofort losgeschickt hätte. Er tat es nur nicht, weil Cícero ihn darum bat: »Marra, mir wäre es wichtig, dass Julão nur mit dir in die Wälder geht. Das würde mich beruhigen.«
»Aber warum denn, Cícero?«, fragte Marra.
»Er ist erst siebzehn Jahre alt und er ist mein Neffe, vergiss das nicht. Sollte ihm etwas zustoßen, würden mein Bruder und meine Schwägerin an der Trauer zugrunde gehen. Es reicht schon, dass ihr ältester Sohn fortgegangen und nie mehr wiedergekommen ist.«
»Nun gut, wir brechen morgen früh auf, Julão«, sagte Marra und schlug dem schweigsamen Jungen auf die Schulter.
»Sag etwas, Junge«, befahl Cícero.
»Ich bin mit allem einverstanden.«
Marra, Cícero und Júlio aßen in einer Bar zu Mittag. Pacu mit Reis und Fischsuppe. Und Bier, wovon der Junge, obwohl es ihm nicht schmeckte, wegen der Hitze gleich zwei Gläser trank. Beim Essen hörte Júlio den Offizier sagen, dass es sich als viel komplizierter erwies, die Kommunisten zu vernichten, als sich die Soldaten das vorgestellt hatten. Nicht einmal die Stützpunkte der Guerilla kannte man. Noch dazu sympathisierten viele Bewohner der Region mit den Revolutionären und hatten sich sogar mit ihnen angefreundet. Sie halfen ihnen, indem sie Vorräte und Munition in der Stadt besorgten und Rebellen bei sich versteckten, wenn das Militär die Gegend durchkämmte. Júlio wunderte sich darüber, dass die Kommunisten, die doch, wie sein Onkel sagte, brutale Aufwiegler waren, die Bevölkerung auf ihre Seite gezogen haben sollten.
»Warum freunden sich die Leute mit den Kommunisten an, aber das Militär will sie einsperren?«, fragte er.
»Weil sie sie täuschen«, antwortete Marra. »Sie behaupten, sie seien gute Menschen, aber eigentlich wollen sie Brasilien ins Chaos führen, verstehst du? Unsere Arbeit ist es, genau das zu verhindern.«
»So ist es, Julão«, mischte sich Cícero ein. »Bleib immer bei Marra und tu alles, was er dir sagt. Er ist mein Freund, er wird auf dich aufpassen.«
Der Junge antwortete mit einem wortlosen Nicken. Am Abend brachte Cícero ihn zu einer Pension. Er ging aber gleich wieder, um noch ein Bier mit Carlos Marra zu trinken, wie er sagte. Júlio dachte an Ritinha und stellte sich vor, was er wohl alles bei der Jagd auf die Kommunisten erleben würde. In der Hoffnung, niemanden umbringen zu müssen, schlief er ein.
1 Entspricht zu dieser Zeit fast sechs Mindestlöhnen (225 Cruzeiros).
DIE ERGREIFUNG VON JOSÉ GENOINO
Die unbefestigten Straßen von Xambioá waren noch menschenleer und still, als Júlio und Cícero am 28. März um fünf Uhr morgens die Pension verließen. Vor der Tür wartete ein Militärjeep auf sie, am Steuer ein junger Mann in olivgrüner Uniform, Carlos Marra auf dem Beifahrersitz. Sie fuhren zum Rio Araguaia, wo ein Motorboot vertäut lag. Es bot Raum für ein Dutzend Männer, und neben dem ortskundigen Steuermann, der auch der Besitzer der Voadeira war, nahmen Júlio, Marra und drei weitere Männer Platz. Zwei der Männer waren nach Júlios Einschätzung genauso alt wie er oder zumindest nur wenig älter. Leider trug keiner von ihnen Militäruniform. Nur zu gerne hätte Júlio selbst die schicke grüne Bekleidung mit den langen Ärmeln und dem schnittigen Barett getragen, und so hatte er schon auf dem Weg von der Pension bis zum Fluss gebannt auf die schwarzen Stiefel des Fahrers gestarrt. Das einzige Paar Schuhe, das er besaß – blaue Stoffturnschuhe der Marke Conga, die er zu seinem sechzehnten Geburtstag bekommen hatte –, war immer noch so gut wie neu, denn er zog es nur sonntags zur Messe an. Ritinha und Dona Marina wären stolz, ihn in solchen Stiefeln zu sehen, da war er sich sicher.
Als das Motorboot ablegte, fielen die ersten Sonnenstrahlen auf das brackige Wasser des Araguaia. Der Urwald war dem Hinterland von Maranhão, wo Júlio aufgewachsen war, sehr ähnlich, Bäume reckten sich bis zu fünfzig Meter in die Höhe, die Seitenarme des Flusses schlängelten sich ins Dickicht. Mit seinen geschulten Augen erkannte der Junge auch die Tierwelt wieder, die Faultiere, Affen, Reiher, Stinkvögel und jede Menge Kaimane, die am Flussufer ruhten. Aber er war nicht hier, um Tiere zu beobachten. Die Bewohner des Urwalds hatten den Soldaten berichtet,
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