Der Pistoleiro: Die wahre Geschichte eines Auftragsmörders
wirbelten eine dichte Wolke aus rotem Staub auf. Júlio kniff die Augen zusammen, versuchte, den Staub wegzuwedeln und hustete nervös. Er spuckte und hustete noch immer, als er schon fast bei der Pension war.
Unterwegs hatte er bei einer Bäckerei haltgemacht und vier Brötchen, zweihundert Gramm Käse und zwei Flaschen Coca-Cola gekauft, sein tägliches Abendessen. Zwei Flaschen Cola waren ein Luxus, den er in Porto Franco nicht gekannt hatte. Seine Eltern sagten, es gebe Wichtigeres, Bohnen, Salz, Zucker und Öl zum Beispiel. »Coca-Cola ist was für Reiche«, sagte Seu Jorge. Jetzt konnte Júlio, dank seiner Arbeit fürs Militär, so viel Cola trinken, wie er nur wollte, er fühlte sich reich. Aber auch traurig, weil keine Nacht verging, ohne dass er an Ritinha dachte. Er hätte alles dafür gegeben, sie zu sehen oder wenigstens mit ihr zu sprechen. Ihre vollen Lippen und festen Brüste, die glatte Haut und der wohlgeformte Hintern gingen ihm einfach nicht aus dem Kopf. Er glaubte fest daran, dass Ritinha sich auch nach ihm sehnte. Nach dem Einsatz am Araguaia würde er mit genügend Geld in die Heimat zurückkehren, um Ritinha zu heiraten.
Am nächsten Morgen wachte er von lauten Schlägen an seiner Tür auf. Er erkannte die Stimme von Carlos Marra.
»Los, Julão! Steh auf, es ist schon sechs Uhr!«, rief der Polizeioffizier.
»Ich komme«, antwortete der Junge und sprang aus dem Bett. Er hatte keine Ahnung, was Marra so früh schon wollte.
Es war der 11. April 1972, und genau eine Woche später würde Júlio Santana die Hauptrolle bei einer Begebenheit spielen, die in die Annalen brasilianischer Geschichte einging – die Ergreifung des Guerilleros José Genoino Neto, der zehn Jahre später Parlamentsabgeordneter für die Partei der Werktätigen (PT) und einer der einflussreichsten und angesehensten Politiker Brasiliens werden sollte.
Der Junge griff nach der Plastiktüte mit frischer Wäsche – eine Hose und ein Hemd – und verließ, ein am Vorabend übrig gebliebenes Stück Brot kauend, das Zimmer. Auf der Straße wartete der Jeep mit laufendem Motor. In den Augen des Offiziers lag ein Ausdruck, der Júlio nicht gefiel. Als er sich auf der Rückbank zurechtrückte, sagte Marra:
»Wenn du weiter für uns arbeiten willst, musst du verantwortungsbewusster sein.«
»Ich verstehe nicht, Delegado«, antwortete Júlio und rieb sich den Schlaf aus den Augen.
»Du solltest um halb sechs zum Abmarsch bereit sein. Wir sind um sechs Uhr gekommen und du hast noch immer geschlafen. So geht das nicht.«
»Aber Sie haben mir nichts davon gesagt, Delegado.«
»Ich habe den Polizisten Santos geschickt, um dir Bescheid zu geben.«
»Da müssen Sie sich bei ihm beschweren, ich habe keine Nachricht bekommen. Ich weiß nicht einmal, wer dieser Santos überhaupt ist.«
Polizist Santos, der meinte, sein Offizier sei bereits auf dem Weg in die Wälder, saß mit den Füßen auf dem Tisch vor sich in der Polizeistation. Als er Marra eintreten sah, sprang er auf und salutierte.
»Was ist denn das für ein Saustall? Du denkst wohl, du bist hier zu Hause«, wies ihn Carlos Marra zurecht.
Der Polizist senkte den Kopf. Der Offizier fragte:
»Was habe ich dir gestern Abend aufgetragen?«
»Zur Pension zu gehen und dem Neffen von Cícero eine Nachricht zu hinterlassen«, antwortete der Polizist und schaute weiter zu Boden.
»So ist es. Ich habe gerade erfahren, dass du nicht einmal dort gewesen bist. Der Junge wusste nicht, dass er sich um halb sechs bereithalten sollte. Was fange ich nun mit dir an?« Obwohl er offensichtlich verärgert war, sprach Marra weiterhin mit der ihm eigenen ruhigen Stimme.
»Ich weiß nicht.«
»Aber ich. Bis ich aus den Wäldern zurückkehre, bleibst du eingesperrt, und dann machst du dich aus dem Staub. Ich will dich in Xambioá nicht mehr sehen.«
»Aber, Delegado, ich…«
»Und wenn du weiter Mist redest, machst du alles noch schlimmer, Idiot.«
Trotz der bekannten Strenge von Carlos Marra hätte Júlio nicht geglaubt, dass er so hart sein konnte. Den Polizisten einzusperren und ihn dann fortzujagen, nur weil er vergessen hatte, eine Nachricht zu überbringen, schien ihm eine übermäßige Bestrafung. Aber er war nicht hier, um Marras Entscheidungen zu kritisieren. Außerdem wunderte ihn noch etwas anderes.
»Warum hat Santos vor Ihnen salutiert, Delegado? Salutieren denn nicht nur die Militärs?«, wollte er wissen.
»Doch, das stimmt schon«, antwortete Marra grinsend. »Es ist nur
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