Der Pistoleiro: Die wahre Geschichte eines Auftragsmörders
Bach mit sauberem Wasser, in dem die Kinder Spaß haben könnten. Der frühere Eigentümer hatte Maniok angebaut, Reis, Mais, Tomaten und Salat. Júlio wollte alles so weiterbetreiben. Außerdem gab es dort Mango- und Guavenbäume, Jaca und Carambolas sowie einige Hühner und Schweine. Nach fünfunddreißig Jahren als Mörder sah er darin den perfekten Rückzugsort, um seine letzten Jahre in Frieden mit der Familie zu verbringen. Er war so zufrieden, dass er den ganzen Weg von Porto Franco bis nach Palmas verschlief, in dem Lastwagen des Freundes, in jenem Morgengrauen im August 2006.
Den Tag darauf, es war ein heißer, stickiger Sonntag, verbrachten er, seine Frau und die zwei Kinder in der Hauptstadt von Tocantins und stiegen um halb acht Uhr abends in einen Omnibus Richtung Brasília. Während der Fahrt, die zwölf Stunden dauerte, waren seine Frau und die Kinder so heiter, dass er sich sicher war, diesmal das Richtige getan zu haben. Von der Hauptstadt aus fuhren sie in die Gegend, in der sie von nun an leben sollten. Gegen Abend erreichten sie ihr Grundstück. Alle waren glücklich mit dem Ort, den Júlio bereits kannte. In dieser Nacht hatten er und seine Frau Sex wie schon lange nicht mehr. Nun würde alles gut werden. Am Morgen danach sah er, ausgestreckt in einer Hängematte auf der Terrasse, zu, wie seine Frau die Bodenfliesen kehrte, die Kinder saßen unter den Bäumen. Mit dem linken Fuß stieß er sich von der Wand ab und schaukelte mit verschränkten Armen.
Zum ersten Mal seit jenem 7. August 1971, als er mit siebzehn Jahren den Fischer Amarelo tötete, war er wirklich glücklich. Nun würde er – mit zweiundfünfzig Jahren – zu leben beginnen, ohne ständig arme Teufel umbringen zu müssen. Seine Kinder würden niemals erfahren, dass ihr Vater eine so entsetzliche Vergangenheit hatte, und er hoffte, auch seine Frau würde irgendwann all das Elend vergessen. Er hatte beschlossen, dass nichts ihn je wieder zum Mörder machen würde. Er hatte genug, um glücklich zu sein: ein schönes Haus, ein Stück Land und die Familie. Und noch etwas Geld auf dem Sparbuch.
Júlio Santana sagt, er lebt nur deshalb nicht vollkommen in Frieden, weil er manchmal noch von seinen Opfern träumt. Zum letzten Mal am 6. September 2006. Er erwachte mitten in der Nacht, total verschwitzt und legte sich in eine Hängematte auf der Terrasse. In seinem Albtraum hatte er das blutverschmierte Gesicht des Goldschürfers João Baiano gesehen, den er 1982 in Serra Pelada aus Versehen getötet hatte.
Júlio glaubt, er habe diese Träume, weil seine Verbrechen noch nicht vollständig gesühnt seien. Dann betet er seine zehn Ave-Marias und zwanzig Vaterunser, die ihm Vergebung bringen sollen. Und schläft wieder ein.
NACHWORT
1971, als Júlio Santana zum ersten Mal einen Menschen ermordete, stand Brasilien seit mehr als sieben Jahren unter Militärdiktatur, seit fast drei Jahren galt der berüchtigte Ermächtungsparagraf AI5 vom 13. Dezember 1968, mit dem die Repression und die Hetzjagd auf Oppositionelle eine neue Dimension erreichte. Kleine Gruppen der traditionell zersplitterten Linken gingen in den Untergrund, engagierten sich in der Stadtguerilla und später in den unzugänglichen Wäldern am Araguaia, einem Nebenfluss des Amazonas. Wie viele Guerilleros und Aktivisten dabei ums Leben kamen – oder deutlicher ausgedrückt, von Militärs, Paramilitärs, Polizei und Personen wie dem Protagonisten dieses Buches, Júlio Santana, ermordet und massakriert wurden, ist noch lange nicht abschließend erforscht. Erst seit 2011 gibt es eine brasilianische Wahrheitskommission, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, vom Staat begangene Menschenrechtsverletzungen aus den Jahren 1946 bis 1988 aufzuarbeiten. Menschenrechtsverletzungen nichtstaatlicher Natur fallen nicht in den Zuständigkeitsbereich dieser Kommission.
Wie viel von all dem Júlio Santana wirklich begriffen hat, mehr als eintausend Kilometer entfernt von der Hauptstadt Brasília, kann nur spekuliert werden. In der Polizeidiktion der siebziger Jahre waren Oppositionelle »subversiv« und wurden öffentlich bestenfalls als »Verbrecher« bezeichnet. Hinzu kommt das jenseits der asphaltierten Überlandstraßen auch heute noch gültige Gesetz des Stärkeren, der Besitzenden, gegen das offizielle Stellen selbst beim besten Willen nur langsam ankommen. Klester Cavalcanti spricht im Vorwort zu diesem Buch von Ermittlungen und Polizeiaktionen gegen moderne Sklaverei im Jahr 2006, und
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