Der Pistoleiro: Die wahre Geschichte eines Auftragsmörders
Gefahr für Luciano groß, ebenfalls in die Sache verwickelt zu werden.
»Und wann können wir gehen?«, fragte Júlio.
»Der Offizier sagt, dass er und die anderen Polizisten um Punkt zwölf Mittag machen. Er wird die Zelle und die Tür der Polizeistation offen lassen. Die Tüte mit deiner Polizeiuniform liegt unter seinem Tisch. Du musst sie nur anziehen und bist raus.«
»Klingt einfach. Und mein Motorrad?«
»Vergiss das Motorrad, Júlio. Du hast kein Motorrad mehr. Ich gehe direkt nach Hause. Wenn du heimkommst, reden wir über alles.«
Er traute sich nicht, seiner Frau in die Augen zu sehen.
»Das macht mir nichts aus. Schlimmer ist der Gedanke, mit einem Mörder verheiratet zu sein.«
Júlio hob erst wieder den Kopf, als er das Schlurfen ihrer Füße auf dem Boden der Polizeistation kaum noch hören konnte. Er sah noch ihren Schatten über die Wand huschen und wusste nicht, was schlimmer war: Hier gefangen zu sein und verprügelt zu werden, oder nach Hause zu kommen, wo er sich zu Tode schämen würde. Er wusste, dass seine Frau recht hatte.
Alles lief so, wie sie gesagt hatte. Pünktlich um zwölf schloss der Offizier selbst die Zellentür auf, löste seine Handschellen und ging mit den zwei anderen Polizisten hinaus. In seiner Polizeiuniform ging Júlio ganz ruhig durch die Straßen von Tocantinópolis. Am Flussufer fand er ein Boot, das ihn auf die andere Seite fuhr. Sein Motorrad stand noch dort. Nur dass die rote 125er Honda, die er vor gerade vier Monaten gekauft hatte, nun nicht mehr ihm gehörte.
Diesen Dienstag, den 12. Mai 1987, würde er niemals vergessen. Als er nach Hause kam, zwanzig Minuten, nachdem er die Polizeistation verlassen hatte, empfing ihn seine Frau. Sie sagte kein einziges Wort. Unter der Dusche brannte sein Rücken. Sein Mund blutete noch immer. Er zog eine Unterhose an und fuhr sich, auf der Toilette sitzend, mit der Hand über die Augenbrauen, während er sich überlegte, was er seiner Frau sagen sollte. Dann ging er aus dem Bad und legte sich ins Bett. Seine Frau brachte kurz darauf eine Blechschüssel mit warmem Wasser. Damit reinigte sie seine Wunden. Dann behandelte sie seine Oberlippe, sie sprach weiter kein Wort. Dann plötzlich sagte sie ihm, dass sie ihn liebe, aber nicht wisse, wie lange sie noch Ehefrau eines Mörders sein wolle. Das war drei Jahre und zwei Monate nach ihrer Hochzeit.
»Du willst nicht verstehen, nicht wahr? Du willst nicht sehen, dass eine Arbeit wie diese unser Leben kaputt macht«, sagte sie.
»Aber es ist meine Arbeit.«
»Júlio, pass auf. Entweder, du suchst dir eine neue Arbeit, oder ich verlasse dich irgendwann.«
Doch das Versprechen, das Leben als Mörder hinter sich zu lassen und endlich in Frieden mit der Familie zu leben, sollte erst neunzehn Jahre später eingelöst werden, in jenen frühen Morgenstunden im August 2006, als Júlio mit seiner Familie Porto Franco verließ. Zwei Monate zuvor hatte er in Carolina, Bundesstaat Maranhão, sein letztes Opfer getötet, einen Beamten, dessen eigener Sohn die Ermordung in Auftrag gegeben hatte. Neunhundert Reais hatte der Vierundzwanzigjährige dafür bezahlt, weil der Vater angeblich Tag für Tag betrunken nach Hause kam und seine Frau schlug. In der Nacht nach der Tat kam Júlio nach Hause zurück, fest entschlossen, nie wieder jemanden zu töten. Nach dem Bad legte er sich zu seiner Frau, legte ihr seinen rechten Arm um die Schulter und flüsterte: »Es ist vorbei.« Sie antwortete nicht.
Erst, als seine Frau ihn beim Frühstück fragte, ob sie ihm glauben könne, wusste er, dass sie ihn verstanden hatte. Sie schmiedeten Zukunftspläne. Ein Stück Land kaufen, irgendwo im Landesinneren, in einem anderen Bundesstaat, dort würden sie vom Ackerbau leben und davon, dass die Frau Kleider für andere nähte. Das Grundstück sollte in der Nähe einer größeren Stadt mit mindestens zweihunderttausend Einwohnern liegen, damit die Kinder eine gute Schule besuchen und sich auch in Shopping-Centern, auf Partys und im Kino vergnügen könnten.
Zu perfekt für Júlios Frau, die ihrem Mann erst wirklich glaubte, als er irgendwann Mitte August zu Hause auftauchte und sagte, er hätte ein Grundstück gekauft.
Dort gab es ein geräumiges Haus, hundertzwanzig Quadratmeter, drei Zimmer, eine große Küche, zwei Toiletten, eine davon draußen, und eine Terrasse, auf der man bis zu vier Hängematten aufhängen konnte. Es gab fließendes Wasser und Strom. In vierhundert Metern Entfernung floss ein
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