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Der Planet des Todes

Der Planet des Todes

Titel: Der Planet des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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Wissenschaftler beugten sich erneut über die metallenen Tische; kurze Worte fielen.
    Auf den Steuerpulten hoben und senkten sich die weißen Tasten der Kontakte. Mit kaum vernehmbarem Geräusch schalteten sich Tausende neuer Stromkreise in die Arbeit ein. In den breiten Schlitzen der Schalttafeln glühten purpurrot die Kontrollämpchen.
    Als auf den Leuchtschirmen die letzten weißen Linien zitterten, war alles klar. Merkur kam nicht in Betracht. Dieser vulkanische, aus Asche und Lava bestehende Planet ist der Sonne am nächsten und kehrt ihr immer die gleiche Halbkugel zu. Eine Atmosphäre besitzt der Merkur nicht. Es blieb also nur der von leuchtendweißen Wolken umhüllte Planet übrig, der seine Oberfläche seit jeher dem menschlichen Auge verbirgt: der Morgen- und Abendstern, die Venus.
Der Planet Venus
    Mitternacht war vorüber. Die Sitzung der Kommission dauerte bereits sieben Stunden. Auf den Tischen lagen ganze Stöße von Zeichnungen, Aufstellungen und Filmstreifen. Als die Mitglieder der astronomischen Sektion den Saal betraten, verstummten die Anwesenden. Alle blickten auf Arsenjew, Chandrasekar und Lao Tsu, doch aus deren Gesichtsausdruck war nichts zu entnehmen. Von einer Anzahl Mitarbeitern und Assistenten gefolgt, begaben sie sich zu ihren Plätzen. Als Arsenjew das Ergebnis der Berechnungen mitteilte, herrschte Stille.
    „Es handelt sich also um die Venus?“ fragte jemand im Saal.
    Arsenjew antwortete nicht; er setzte sich und breitete die mitgebrachten Papiere vor sich aus.
    „Besteht nicht die Möglichkeit eines Irrtums?“ fragte dieselbe Stimme am Tisch der Biologen. Dozent Sturdy, ein kleiner Mann mit einem apoplektischen Gesicht und buschigem Haar, hatte die Fragen gestellt.
    „Das Elektronenhirn kann sich hier und da irren“, entgegnete Arsenjew. „Allerdings entfällt im Durchschnitt erst auf sechs Trillionen Berechnungen ein Fehler. Wir ziehen aber auch diese Möglichkeit in Betracht und werden noch heute nacht die Berechnungen wiederholen.“ „Daran dachte ich weniger“, beharrte der Biologe. „Mir geht es um die theoretischen Grundlagen der Berechnungen. Kann nicht darin ein Fehler stecken?“
    Arsenjew glättete mit beiden Händen die vor ihm liegenden Papiere. Er war eine der charakteristischsten Persönlichkeiten der Kommission. Hellblond, riesengroß, mit leicht vornübergeneigten Schultern, schien er nach den längst verschollenen Proportionen eines edlen Übermaßes gebaut. In seinem dreißigsten Lebensjahr hatte er bereits sein Hauptwerk vollendet, das durch eine neue Theorie eine Reihe ultraatomarer Erscheinungen erklärte. Arsenjew zählte nun siebenunddreißig Jahre. Sogar im Sitzen überragte er seine Nachbarn noch um Haupteslänge. Er blickte den Opponenten ein Weile schweigend an, als bereite er sich zu einer ausführlichen Entgegnung vor. Alle überlief ein leichter Schauer, als Arsenjew mit seiner tiefen Stimme nur das eine Wort sprach: „Nein.“
    Professor Kluever, ein Leipziger Biologe, der an diesem Tag den Vorsitz führte, schlug vor, daß einer der Astronomen den Nichtfachleuten alles über den Planeten Venus mitteilen möge, was mit dem zur Beratung stehenden Problem zusammenhing. Der Vorschlag wurde angenommen. Die Sektion der Astrophysiker wählte nach kurzer Beratung Dr. Behrens, der sich sofort von seinem Platz erhob und das Mikrophon einschaltete. Er war ein noch jugendlicher Mensch, von fast jungenhaftem Aussehen, schlank, beinahe hager, mit fahrigen Bewegungen. Während seines Vortrages spielte er mit seiner Brille und blickte, wie es bei Kurzsichtigen der Fall ist, unsicher um sich. Arsenjew, der inzwischen mit einigen Kollegen geflüstert hatte, neigte seine Riesengestalt über die Armlehne des Sessels und gab den Assistenten irgendwelche Anweisungen, die sie stenografierten. Dann entfernten sie sich auf den Fußspitzen. Obwohl alle Anwesenden Dr. Behrens aufmerksam zuhörten, war Unruhe im Saal zu spüren. Köpfe neigten sich einander zu, da und dort wurde gewispert. Unterdessen sprach der junge Astronom zu den Versammelten, während seine Rede automatisch in fremde Sprachen übersetzt wurde, „Die Venus“, begann er, „der zweite Planet unseres Sonnensystems, besitzt einen um drei Prozent kleineren Durchmesser und eine um dreiundzwanzig Prozent geringere Masse als die Erde. Da sie sich am Himmel immer in Sonnennähe befindet, ist sie ein undankbares Objekt für die Beobachtung. Ihre Entfernung von uns schwankt zwischen zweihundertfünfzig

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