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Der Planet des Todes

Der Planet des Todes

Titel: Der Planet des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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Invasion auf die Erde sprach. Nach Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses vertagte der Vorsitzende die Fortsetzung der Debatte bis zum Abend des nächsten Tages. Bis zu diesem Zeitpunkt sollte ein Komitee zur Abfassung der Antworten auf die zweite und dritte Frage gebildet werden. Die Astrophysiker, Atomphysiker, Chemiker, Technologen und Ingenieure konstituierten sofort eine Sondersektion, die im „Kleinen Saal“ des Institutes die ganze Nacht über, bis elf Uhr vormittags, beriet. Erst dann begaben sich ihre Mitglieder zur Ruhe, um an der Vollversammlung um zweiundzwanzig Uhr teilnehmen zu können.
    Am Abend berichtete Professor Lao Tsu über die Arbeit der Sondersektion. In den Gesichtern seiner Kollegen waren deutliche Spuren von Schlaflosigkeit zu erkennen. Er allein sah in dem etwas schlecht sitzenden dunklen Anzug, mit dem schwarzen, straffgekämmten Haar wie immer aus.
    „Bevor ich auf das Hauptproblem eingehe“, sprach Lao Tsu, „möchte ich mir gestatten, auf eine Interpellation zu antworten, die mir vor einer Weile vorgelegt wurde. Sie ist unterschrieben vom Kollegen Sturdy und einigen Mitgliedern der sprachwissenschaftlichen Sektion. Beachten Sie bitte, welche logischen Schlußfolgerungen diese Kollegen ziehen: Da die physikalischen Bedingungen auf der Venus für uns tödlich wären, müßten umgekehrt auch die Bedingungen auf der Erde für die Venusbewohner tödlich sein. Daraus ergibt sich, daß kein vernünftiger Grund diese anscheinend doch sehr vernünftigen Wesen dazu bewegt haben könnte, auf die Erde zu kommen, da ja für sie nichts Gutes daraus entstehen würde.
    Meine verehrten Kollegen, zu dem ersten Teil dieser Beweisführung kann ich nur eines sagen: non sequitur! Das folgt nicht daraus! Die geschätzten Kollegen meinen, wenn sie nicht auf der Venus leben können, dann können auch die Bewohner der Venus nicht auf der Erde leben. Das folgt nicht aus dieser Prämisse. Wir können zwar nicht im Wasser leben, aber die Fische mit Kiemen- und Lungenatmung können auf dem Lande leben. Ich muß mein Bedauern ausdrücken, daß der Dozent Sturdy seine Partei nicht wenigstens durch einen Logiker verstärkt hat.“ Ein leises Gemurmel durchlief den Saal. Der chinesische Gelehrte sprach mit unerschütterlicher Ruhe weiter: „Es bleibt noch das Problem zu lösen, ob sich für die Bewohner der Venus tatsächlich nichts Gutes auf der Erde hätte ergeben können. In der Hoffnung, daß ich die verehrte Versammlung nicht langweile, möchte ich mir gestatten, eine alte Parabel meines großen Landsmannes, des Philosophen Tschuang-tse zum besten zu geben:
    Zwei Philosophen standen einmal auf einer kleinen Brücke, die über einen klaren Bach führte, und sahen dem Spiel der Fische zu. Da sagte der eine: ,Sieh nur, wie die Fischlein dort im Kreise herumschwimmen und plätschern. Das ist ein Vergnügen für sie.‘ – Darauf versetzte der zweite: ,Woher weißt du, was für die Fische ein Vergnügen ist?‘ – ,Und wieso weißt du‘, entgegnete ihm der erste, ,der du doch nicht ich bist, daß ich nicht weiß, was den Fischen Vergnügen bereitet?‘ – Ich, verehrte Kollegen, stehe auf dem Standpunkt des zweiten Philosophen. Ich kann unseren geschätzten Kollegen Sturdy nur darum beneiden, daß er so genau weiß, was für die Venusbewohner ein Vergnügen ist“
    Ein gedämpftes Lachen der Versammelten antwortete ihm. Lao Tsu legte die Karte mit dem Einwand Sturdys beiseite und fuhr ruhig und unbeirrt fort: „Es wurden uns zwei Fragen gestellt. Ich sage ,uns‘ da ich im Namen der Sondersektion spreche. Wir haben diese beiden Fragen zusammengefaßt und als eine einzige behandelt. Das Kernproblem ist, ob man von einem Planeten aus einen anderen vernichtend treffen, das Leben auf ihm paralysieren kann. Diese Frage beantworten wir mit einem Ja; man kann es. Einige von den verehrten Anwesenden hatten das Vergnügen, unsere große Bewatronstation zu besuchen. Sie werden wissen, daß wir dort vor anderthalb Jahren mit dem Bau einer gewaltigen Anlage begannen, die uns gestattet, schnelle Deuteronen als geballte Elektronenladungen in den Weltraum zu schleudern. Wir beabsichtigen, eine Ladung schneller Deuteronen auf die Pallas abzuschießen, einen der kleinen Planeten, die zwischen Mars und Erde um die Sonne kreisen. Das Geschoß muß die Pallas vollkommen in Staub verwandeln. Wir erwarten, daß diese Reaktion uns die Möglichkeit gibt, einen kleinen Spiralnebel zu beobachten, und werden also künstlich ein Modell

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