Der Planet des Todes
Professor Lao Tsu verlesenen Antrag zur Diskussion. Da keine Abänderungsvorschläge kamen, wurde über die beiden Möglichkeiten abgestimmt. Es war inzwischen fast drei Uhr nachts geworden. Die Wolken, die vordem heller als der Himmel gewesen waren, wurden dunkel. Hinter den hohen Fenstern des Saales zeichnete sich im Osten die Grenze zwischen Himmel und Erde in Gestalt eines tiefen, von violetten Nebeln umrahmten Risses ab.
Der Vorsitzende ließ, während er mit seinem Sekretär sprach, keinen Blick vom Leuchtschirm der Abstimmungsapparatur. Als das Zählwerk bestätigte, daß alle abgestimmt hatten, erhob er sich: „Sechsundsiebzig Stimmen wurden für eine friedliche Lösung des Konfliktes abgegeben. Diese Entscheidung ist natürlich nicht die endgültige. Aber darum geht es im Augenblick nicht. Seit ungefähr achthunderttausend Jahren lebt das Menschengeschlecht auf der Erde. Während eines an Mühsalen und Leiden reichen Weges lernten Generationen auf Generationen nicht nur die Naturkräfte zu beherrschen, sondern auch die gesellschaftlichen Kräfte zu lenken und zu leiten, die vordem ganze Zeitalter hindurch den Fortschritt vereitelten und sich gegen den Menschen wendeten. Die Epoche der Ausbeutung, des Hasses, der Kriege und Kämpfe der Menschen untereinander wurde vor einigen Jahrzehnten mit dem Siege der Freiheit beendet und führte endlich zur friedlichen Zusammenarbeit der Völker. Es ist uns aber nicht beschieden, nun auszuruhen und uns mit dem Erreichten zufriedenzugeben. Gleich an der Schwelle dieser neuen Ära kam es zu einer ersten Berührung der menschlichen Zivilisation mit einer außerirdischen. Dabei wurde ein Vernichtungsurteil über uns gesprochen. Was sollen wir tun? Sollen wir die Drohung, die von einem anderen Planeten ausging, mit einem Schlag, der die Angreifer vernichtet, beantworten? Wir könnten das um so leichter und unbehinderter, als wir es mit Wesen zu tun haben, die gänzlich verschieden von uns sind, denen wir weder menschliche Gefühle und Empfindungen noch geistige Fähigkeiten in unserem Sinne zusprechen können. Und dennoch haben wir, vor die Wahl zwischen Krieg und Frieden gestellt, den Frieden gewählt. In dieser Entscheidung erblicke ich das feste Band, das den Menschen mit dem Weltall verbindet. Die Epoche, in der wir die Erde für ein vor allen anderen auserwähltes Gestirn betrachteten, ist vorüber. Wir wissen, daß in der Unermeßlichkeit des Raumes Milliarden Welten kreisen, die der unseren ähnlich sind. Was tut es, daß die auf ihnen bestehenden Formen tätigen Daseins, die wir Leben nennen, uns nicht bekannt sind. Wir Menschen halten uns weder für besser noch schlechter als die anderen Bewohner des Weltalls. Es läßt sich nicht leugnen, daß mit unserem Entschluß ein noch nicht absehbares Risiko, ungeheure Mühen und Gefahren verbunden sind. Trotzdem sind wir eines Sinnes. Wir, die Wissenschaftler, dienen wie alle Glieder der menschlichen Gesellschaft der Allgemeinheit. Wir sind Geiche unter Gleichen; aber etwas ist uns reichlicher, freigebiger zuteil geworden als den andern: Verantwortung. Nehmen wir sie, unserer Pflicht der ganzen Welt gegenüber bewußt, auf uns.“
Der Vorsitzende schwieg eine Weile. Durch die Fensterscheiben drang der blaßviolette Schimmer der ersten Morgendämmerung. In der Ferne, am Rande der Stadt, die man von der Höhe des Turmhauses überblicken konnte, zog langsam ein dunkelrubinroter Schein am Osthimmel herauf.
„Ich verlese anschließend die Liste der Kollegen, die ich bitte, im Saal zu bleiben. Wir müssen sofort mit der Vorbereitung des Berichtes über unsere Arbeit beginnen, der morgen, das heißt eigentlich heute, denn der neue Tag bricht bereits an, dem Obersten Wissenschaftlichen Rat vorgelegt werden soll. Vorher möchte ich aber an alle hier Versammelten noch eine Frage richten. Es ist möglich, daß der Beschluß gefaßt wird, das Weltraumschiff nicht nach dem Mars, wie ursprünglich vorgesehen, sondern nach der Venus zu entsenden.
Deshalb möchte ich wissen, wer von den verehrten Anwesenden wünscht, an einer solchen Expedition teilzunehmen.“
Ein dumpfes Schurren von Sesseln ließ sich vernehmen. Als ob sich alle verabredet hätten, bedienten sich die versammelten Wissenschaftler nicht der Abstimmungsapparate, sondern erhoben sich von ihren Plätzen, eine Reihe nach der anderen, bis der ganze Saal in Bewegung geraten war. Inmitten dieser vielen auf ihn gerichteten Augenpaare ließ der Vorsitzende, der sich
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