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Der Planet des Todes

Der Planet des Todes

Titel: Der Planet des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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Soltyk oder Oswatitsch in die Geheimnisse der Astronautik einweihen. Einige Male war ich auch bei Professor Chandrasekar und seinem geliebten Marax, auf dem der indische Gelehrte, wie sich Arsenjew einmal ausgedrückt hat, „eine mathematische Symphonie spielt“. Nachmittags, sobald die Post eingetroffen ist, ziehen wir uns in unsere Kabinen zurück, um die Grüße unserer Angehörigen zu lesen. Die Professoren bekommen außerdem ganze Stöße von wissenschaftlichen Mitteilungen. Wir treffen uns erst beim Abendessen wieder, und dann lauschen wir bis in die späte Nacht den Erzählungen. Wir haben uns so daran gewöhnt, daß wir unseren Tag gar nicht mehr anders beschließen könnten. Gestern erinnerte mich Arsenjew an mein Versprechen, etwas über mich zu berichten. Ich lehnte ab und erklärte, daß meine Erinnerungen keinesfalls den Vergleich mit den Erzählungen meiner Gefährten aushielten.
    „Nun, wenn Sie meinen“, sagte Arsenjew daraufhin, „wenn Sie mich dazu zwingen … Angesichts dieser Tatsache bitte ich Sie nicht mehr darum, sondern befehle es Ihnen als wissenschaftlicher Leiter der Expedition.“
    So versuchte ich heute abend, als das tägliche Radiokonzert zu Ende war, einige meiner Erlebnisse aus der Zeit, da ich Führer einer Rettungsmannschaft im Kaukasus war, zum besten zu geben; aber Arsenjew unterbrach mich bereits nach den ersten Worten. „Entschuldigen Sie!“ rief er. „Daraus wird nichts, mein Lieber! Meinen Sie, wir lassen uns zum Narren halten? Wollten Sie uns nicht etwas vom Kantschindschinga erzählen? Die Sache war doch das Tagesgespräch der ganzen Welt. Haben Sie das etwa vergessen?“
    „Durchaus nicht. Aber es fällt mir schwer, darüber zu sprechen.“ „Ausgezeichnet“, versetzte Arsenjew. „Man soll immer gerade das tun, was einem schwerfällt. Fangen Sie ruhig an, Pilot.“
    Er wußte, daß er eine schwache Stelle bei mir berührte, wenn er mich so nannte. Er wußte es und lächelte mir ermunternd zu. „Nun ja, Sie geben ja doch nicht eher Ruhe“, brummte ich und begann. Arsenjew lächelte noch immer, aber bald sah ich, wie sich sein Lächeln veränderte, als gelte es bereits nicht mehr den Menschen, sondern den unendlichen Schneefeldern, die nun vor uns auftauchten.
    „Der Himalaja …“, begann ich. „Die Expeditionen gehen Ende des Winters in den Himalaja …“
    Von diesen Worten an war ich nicht mehr in der Kabine, fühlte nicht mehr das weiche Rückenpolster. Die leuchtenden Punkte der Sterne auf der dunklen Televisorscheibe blendeten mich wie die Sonnenlichtreflexe eines Gletschers. Ich sah wieder das blasse, verwaschene Blau über den Gipfeln, atmete die dünne Luft und vernahm den eigenartigen, hastigen Schlag des unermüdlichen Herzens. Mir war, als spürte ich den Druck des Seiles auf der linken Schulter, und meine rechte Hand ballte sich unwillkürlich, wie um den Griff des Eispickels.
    „ … denn im Sommer weht vom Indischen Ozean her der Monsun und bringt ungeheure Schneefälle. Das Schicksal einer Expedition ist allein von der Witterung abhängig. Zwischen den Winterstürmen und dem Monsun liegt gewöhnlich eine Pause von mehreren Wochen. Kommt aber der Monsun schon früher, gegen Ende Mai, dann gerät das ganze Lager in die Schneestürme. Der Wind zerreißt die Leinen, wirft die Zelte mit den Menschen in den Abgrund, von allen Berghängen rollen die Lawinen. Ich erinnere mich …“
    Ich stockte.
    „Deshalb geht man eben bereits Ende März in die Berge. Dann blasen noch die kalten Nordwinde und kehren den Schnee von den höheren Graten. Der Frost aber wird schon von Tag zu Tag milder. Die ersten Bezwinger der Himalajagipfel benutzten Sauerstoffflaschen. Heute gebraucht man sie nur noch selten; denn wer sich erst einmal an das Gerät gewöhnt hat, dem fällt es schwer, sich davon zu trennen, und wenn es beschädigt wird, so ist sein Träger verloren. Es ist also besser, man paßt sich allmählich den dort herrschenden Luftverhältnissen an, indem man genügend lange in den einzelnen Lagern bleibt, ehe man zum nächsthöheren aufsteigt. Bis zu einer Höhe von fünftausend Metern kommen fast alle, bis zu sechstausend ungefähr jeder zweite europäische Alpinist, bis zu siebentausend jeder fünfte, und über siebentausend, dort, wo die höchsten Gipfel beginnen, gelangt einer von zwanzig.
    Das Hinaufsteigen ist übrigens das wenigste. Viel wichtiger ist es, längere Zeit dort oben auszuharren. Die Biologen sagen, daß ungefähr in der Höhe des Mount

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