Der Portwein-Erbe
rascher, vielleicht
sogar schöner Tod, wenn der Tod überhaupt schön sein kann? Man merkt nichts, ist weg, verschwindet ohne Abmeldung, einfach
so. Unvorstellbar, auf immer und ewig. Die Frau mit dem ungepflegten Haar, das ihr struppig vom Kopf abstand, sah jetzt auf.
»Was kann ich für Sie tun?«, knurrte sie.
Nicolas wusste weder, wie er richtig fragen sollte, noch, was er genau wollte. Die Verkäuferin mit den rot geränderten Augen
machte nicht den Eindruck, als würde sie ihn gern mit der Welt portugiesischer Weine vertraut machen.
»Können Sie mir sagen, was so besonders ist an portugiesischem Wein?«, fragte er zaghaft und wusste, dass es bestimmt falsch
ankommen und sie ihm kaum eine erschöpfende Antwort geben würde. Die Frau sah ihn an, als hätte er Hundefutter verlangt. Er
schob eine andere Frage nach, die er genauso dämlich fand. »Weshalb sollte man portugiesische Weine trinken – und zum Beispiel
keine französischen?« Die Frau sah ihn immer noch an, als hätte sie einen Schwachsinnigen vor sich. War das ein Laden nur
für Eingeweihte? Er versuchte es mit einer dritten Frage: »Wie unterscheiden sich portugiesische Weine von anderen?«
Die Verkäuferin runzelte unwillig die Stirn. Vielleicht glaubt sie, ich will sie verarschen, dachte Nicolas. Kommen alle anderen
her und wissen, was sie wollen? Er sah sich um. Er befand sich zwischen Regalen mit Flaschen, Flaschen in Kisten, rechts stand
eine Palette mit Weinkartons, geschlossen und aufgeschnitten, Flaschen lagen gestapelt an den Wänden, Rotwein, Weißwein, Rosé
...
|30| »Das kommt darauf an«, sagte die Verkäuferin, und Nicolas wunderte sich über ihre angenehme Stimme. »Es kommt darauf an, was
Sie wollen. Hatten Sie an einen Wein aus dem Ribatejo gedacht, an einen Dão oder eher an einen aus Bairrada? Die aus der Estremadura
sind auch sehr schön, ganz anders natürlich die aus Sétubal. Sicher, auch im Alentejo gibt es ausgezeichnete und sehr eigenständige
Weine . . .«
Sie hatte erreicht, was sie wollte: Er stand als Dummkopf vor ihr. Bitte schön, dachte Nicolas ergeben, sollte sie es genießen.
Lediglich Alentejo und Algarve waren ihm von seiner damaligen Tour her vertraut, es waren portugiesische Regionen. Den Rio
Douro hatte sie nicht genannt, den kannte er natürlich, aber der Rest? Er stand hier als Depp unter Kennern, denn auch ein
anderer Kunde schaute ihn missbilligend an, wie Nicolas sich einbildete. Da kam ihm die rettende Idee.
»Haben Sie Weine von der Quinta do Amanhecer?«
Die Frau stutzte. Ihr Ja kam so, als würde sie ihm jede Berechtigung absprechen, danach zu fragen. »Da drüben«, sie wies mit
dem Kopf hin, »den Vinho de Mesa, dann eine Semi-Crianza, wie die Spanier sagen, mit kurzem Barriqueausbau. Die Reserva ist
in französischer Eiche gereift, der Wein wird nicht gefiltert, es bildet sich also ein Depot, man muss ihn dekantieren. Einen
schönen Port macht er auch, schauen Sie links im Portweinregal. Wie kommen Sie auf dieses Weingut?« Das klang, als hätte sie
gefragt, was er überhaupt hier zu suchen hätte.
»Eine Empfehlung«, murmelte Nicolas kleinlaut, worüber er sich ärgerte. Er ließ sich doch sonst nicht einschüchtern. »Welcher
ist es?«
Er trat ans Regal. Flaschen mit englischen Namen wie Grahams, Dow, Smith Woodhouse, Cockburns, Harris und Churchills waren
eindeutig in der Mehrzahl. Niepoort und Burmester waren sicher Holländer, Kopke konnte deutsch |31| sein, und die Portugiesen hießen Ferreira, Romariz, Ramos-Pinto und Vallado. War es ein Fehler, Friedrichs Portwein nicht
sofort zu entdecken, das Etikett nicht zu kennen, nicht zu wissen, wonach er unter den vielen Marken zu greifen hatte? Hilflos
sah er sich nach der Verkäuferin um.
»Könnten Sie mir vielleicht . . .«
Sie knallte den Kugelschreiber auf den Block, schlurfte hinter dem Tresen hervor und griff seufzend in ein anderes Regal.
Sie hielt ihm eine Weinflasche so dicht vor die Augen, dass er sich zurücklehnen musste.
»Vinho de Mesa, der billigste, 6,90 Euro!«
»Ist das der Einzige?«
»Die Semi-Reserva kostet 12,50 Euro.« Vorwurfsvoller ging es nicht. »Die Reserva kostet 22 Euro!« Sie war offenbar der festen
Überzeugung, dass Nicolas keinen Cent in der Tasche hatte.
»Und der Port dieses Hauses?«, sagte er jetzt so blasiert wie möglich und blickte an ihr vorbei. Da wurde die Verkäuferin
wach. Dass ihr der Laden gehörte, hielt Nicolas für
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