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Der potemkinsche Hund: Roman (German Edition)

Der potemkinsche Hund: Roman (German Edition)

Titel: Der potemkinsche Hund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cordula Simon
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Nächte in der Stadt weniger dunkel als kalt waren. Die Männer begannen, zu den gleichen schwarzen Schuhen, die sie alle trugen, die gleichen kurzen schwarzen Jacken zu tragen, als man die Nächte nicht mehr leicht bekleidet im Freien verbringen konnte. Die Hunderudel würden sich kaum mehr blicken lassen, sich unter Treppen zu Hauseingängen verkriechen. Unter all den Treppen der Stadt, sich in großen Obstkartons zusammenrollen. Sie schritt zwischen den Betten der Hunde weiter. Die Hunde nahmen keine Notiz von ihr. Wo der Pier sich ins Meer bohrte, konnte man nachts aus der Distanz glauben, dass ein Riese Glühwürmchen mit Filzläusen gekreuzt hätte. Leuchtende Filzläuse am Pier-Genital. Aber es war früh am Tag. Wenn es dunkel wurde und die Lichterketten am Primorskij leuchteten, würde sie schon lange am Strand sein, die Zeit würde sie totgeschlagen haben. Die Hunde heulten, als hätten sie mit dem Sommer, der gerade zu verschwinden drohte, ihre größte Liebe zu betrauern. Sie wanderte den asphaltierten Weg am Meer entlang. Man konnte von hier aus kaum glauben, dass hinter der bewaldeten Böschung eine ganze Stadt lag. Sie könnte hier haltmachen, wo die Touristenstrände waren. Aber dann würde sie eine Liege mieten müssen und ein Stück weiter sogar eine mit einem weißen Zelt darüber. Kleine weiße Zelte, einer Türkenbelagerung gleich, schüttelte sie sich. Sie würde weitergehen, dorthin, wo weniger Menschen waren. Wolken huschten sich überschlagend über den Himmel, sie waren finster und trotzdem waren viele zum Strand gekommen. Tolik hatte sie verlassen, wie der Sommer die Hunde verließ. Aber es war immerhin nicht seine Schuld gewesen. Denn wäre es seine Schuld gewesen, hätte sie geheult, wie die Hunde heulten, und statt einer Entschuldigung wäre er wortlos auf die Knie gesunken, während sie langsam davonging, und sie würde die Geste erst sehen, wenn sie sich umdrehte. Wie viele Streite doch beendet wären auf der Welt, würden Männer einfach öfter zu Boden gehen.
    Hier ging es endlich nach unten, einen engen, staubigen Weg, zwischen kleinen Grashügeln durch, wo kleine, buckelige Bäume wie der verkrüppelte Fremde standen. Aber sie wollte nicht hier haltmachen, wo der Baumsaft auf sie heruntertropfen würde. Da vorne, da lag zwar schwarze Asche, denn jemand hatte ein Feuer gemacht, obwohl es verboten war, ohne Genehmigung zu grillen, doch an diesem Strand hatte niemand je eine Genehmigung für irgendetwas. Sie konnte hier, von diesem Gras- und Ascheplatz aus, der vier Meter höher lag als der sandige Strand, über diesen hinwegsehen. Auch den alten Wachturm, den grauen leeren, mit der einsamen Antenne auf dem Dach, konnte sie von hier aus sehen. Da würden auch weniger Menschen sie beobachten. Sie wollte doch immerhin so tun können, als wäre sie allein, bis sie es tatsächlich sein würde, wenn die Nacht hierherschlich, die Böschung einen Schatten auf sie hinunterwarf, weil die Sonne am anderen Ende der Stadt unterging. Sie breitete die Federdecke aus, das Kissen, das in ihr eingewickelt war, legte sie an ein Ende. Ein richtiges Bett, hätte man meinen können. Sie legte sich darauf und schlief trotz der Geräuschkulisse, die die badenden Menschen unten bildeten, ein. Es roch nach Šašlik. Zum ersten Mal seit langer Zeit schlief sie, nicht nur, ohne sich erinnern zu können, was sie geträumt hatte, sondern ohne zu träumen, zumindest war es das, was sie glauben konnte, als sie aufwachte und die Abendschatten ihr eine Gänsehaut auf die Arme und in den Ausschnitt gestrichen hatten. Der Sommer machte sich wirklich davon. Sie lauschte dem Rascheln der Tiere, vielleicht der Hunderudel, die sie auf dem Weg hierher nicht gesehen, sondern nur gehört hatte, legte sich die Bettdecke um die Schultern. Unten am Wasser liefen zwei Hunde um die Wette und jagten Möwen, die sonst wie Styroporkügelchen auf der unruhigen Wasseroberfläche trieben.
    Die Menschen waren alle verschwunden. Damit war es also Zeit, sie stapfte in ihrem königlichen Federdeckenumhang mit den großmütterlichen Blümchen die paar schief getretenen steinernen Stufen zum Sand hinunter. Nach vor, geradeaus, befahl sie sich und hätte eine Geste vollzogen, als führte sie eine Armee in die Schlacht, mit dem Schwert nach vorne weisend, hätte sie nicht beide Hände benötigt, den schweren Umhang zu halten. Sie hatte die Finger in den Bezug gekrallt, aber die Decke darin rutschte weiter nach hinten, sank über ihre Schultern

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