Der Präsident
pechschwarze Nacht. Regentropfen prasselten gegen die Fensterscheibe. Für gewöhnlich wirkte das Geräusch beruhigend, im Augenblick aber trug es nur zu dem unbarmherzigen Pochen in ihrem Kopf bei.
Als das Telefon klingelte, rührte sie sich zunächst nicht. Ihre Glieder schienen selbst für den Versuch einer Bewegung zu schwer, als zirkuliere überhaupt kein Blut mehr durch sie.
Einen entsetzlichen Augenblick fürchtete Kate, sie hätte einen Schlaganfall erlitten. Endlich, nach dem fünften Läuten, gelang es ihr, den Hörer abzunehmen.
»Hallo?« Zittrig, nur noch einen Schritt vom Umkippen entfernt klang ihre Stimme. Sie war mit den Nerven am Ende.
»Kate. Ich brauche Hilfe.«
Vier Stunden später saßen sie einander in der kleinen Imbissstube am Founder’s Park gegenüber, die vor vielen Jahren Schauplatz ihres ersten Rendezvous’ gewesen war. Das Wetter hatte sich verschlechtert; mittlerweile schneite es so heftig, dass Autofahren nahezu unmöglich war und nur noch besonders Verwegene es wagten, zu Fuß zu gehen.
Jack blickte zu ihr hinüber. Die Kapuze hatte er abgenommen, doch eine Skimütze, ein wenige Tage alter Bart und eine dunkle Sonnenbrille entstellten ihn dermaßen, dass Kate zweimal hinschauen musste, ehe sie ihn erkannte.
»Bist du sicher, dass dir niemand gefolgt ist?« Ängstlich sah er sie an. Heißer Dampf, der von einer Tasse Kaffee aufstieg, verschleierte ihr die Sicht, dennoch entging ihr nicht die Anspannung in seinem Gesicht. Zweifelsfrei stand er kurz vor dem Zusammenbruch.
»Ich hab’ getan, was du gesagt hast. Die U-Bahn, zwei Taxis und einen Bus. Wenn mir bei dem Wetter jemand auf den Fersen geblieben ist, dann ist es kein Mensch.«
Jack setzte den Kaffee ab. »Nach allem, was ich bisher weiß, könnte das sogar zutreffen.«
Am Telefon hatte er den Treffpunkt nicht genau genannt. Mittlerweile ging er davon aus, dass sie jeden abhörten, der mit ihm in Verbindung stand. Lediglich vom »alten Lokal« hatte er gesprochen und sich darauf verlassen, dass Kate es verstehen würde. Jack starrte aus dem Fenster. Jedes vorbeihuschende Gesicht stellte eine Bedrohung dar. Er schob ihr eine Ausgabe der Post hin. Als er selbst die äußerst interessante Titelseite zum ersten Mal gelesen hatte, war ihm die Zornesröte ins Gesicht gestiegen.
Seth Frank lag mit einer Gehirnerschütterung im George Washington University Hospital; sein Zustand war stabil. Der bisher noch nicht identifizierte Obdachlose hatte weniger Glück gehabt. Und im Mittelpunkt des Berichts stand Jack Graham, der Serienkiller. Nachdem sie die Seite gelesen hatte, schaute Kate zu ihm auf.
»Wir müssen in Bewegung bleiben.« Während er den Kaffee austrank, sah er sie an. Dann erhob er sich.
Das Taxi setzte die beiden vor Jacks Motel etwas außerhalb von Old Town Alexandria ab. Auf dem Weg zu seinem Zimmer behielt er ständig die Umgebung im Auge. Nachdem er die Tür abgeschlossen und verriegelt hatte, nahm er Skimütze und Sonnenbrille ab.
»Gott, Jack, es tut mir so leid, dass du da hineingezogen worden bist.«
Kate zitterte. Sogar vom anderen Ende des Raumes aus konnte er es sehen. Einen Augenblick später legte er die Arme um sie, bis sie sich beruhigt hatte. Dann blickte er sie an.
»Ich habe mich selbst hineingezogen. Jetzt muss ich zusehen, dass ich wieder herauskomme.« Jacks Versuch eines Lächelns konnte ihre Angst um ihn nicht vertreiben; die entsetzliche Furcht, er könnte ihrem Vater bald folgen.
»Ich habe ein Dutzend Nachrichten auf deinem Anrufbeantworter hinterlassen.«
»Hab’ nie daran gedacht, ihn abzuhören, Kate.« In der nächsten halben Stunde schilderte er ihr die Ereignisse der letzten Tage. In ihren Augen spiegelte sich Entsetzen, das sich mit jeder neuen Offenbarung steigerte.
»Mein Gott!«
Eine Weile schwiegen sie beide.
»Jack, hast du eine Ahnung, wer hinter all dem steckt?«
Jack schüttelte den Kopf; ein leiser Seufzer entrang sich seiner Kehle. »Mir schwirren lose Teile dieses Puzzles im Kopf herum, aber bisher ergeben sie noch keinen Zusammenhang. Ich hoffe, das ändert sich. Bald.«
Die Endgültigkeit, mit der er das letzte Wort aussprach, traf sie wie ein Schlag. Seine Augen sprachen Bände. Die Botschaft war unmissverständlich. Trotz aller Tarnung, trotz noch so sorgfältig überlegter Sicherheitsvorkehrungen, trotz seines angeborenen Talents zur Konfliktbewältigung würden sie ihn aufspüren. Entweder die Bullen oder seine mordlüsternen Verfolger. Es war nur eine
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