Der Prediger von Fjällbacka
mitgenommen zu werden, hatte er gewußt, daß sie die Richtige war. Die erste war das Zeichen gewesen, auf das er gewartet hatte. Jahrelang hatte er Johannes’ Worte in dessen Buch gelesen, und sie hatten ihn fasziniert. Als das Mädchen an seiner Tür aufgetaucht war und nach seiner Mutter fragte, am selben Tag, als er selbst sein URTEIL erhalten hatte, da wußte er, daß es ein Zeichen war.
Er hatte nicht resigniert, weil er mit ihrer Hilfe die Kraft nicht hatte finden können. Johannes war es mit ihrer Mutter schließlich auch nicht gelungen. Das Wichtige war, daß er durch sie den Weg betreten hatte, der für ihn unausweichlich vorgezeichnet war. Den Fußstapfen seines Vaters zu folgen.
Die beiden Frauen zusammen in die Königsschlucht zu legen war seine Weise, es der Welt mitzuteilen. Die Verkündigung, daß er nun das fortfuhren würde, was Johannes begonnen hatte. Er glaubte nicht, daß es andere verstehen würden. Es reichte, daß Gott verstand und es guthieß.
Wenn er einen endgültigen Beweis dafür gebraucht hatte, dann war er ihm am gestrigen Abend gegeben worden. Er hatte gewußt, war sich wirklich ganz sicher gewesen, als sie von dem Ergebnis der Blutanalysen zu sprechen begannen, daß er jetzt als Verbrecher ins Gefängnis kam. Er hatte vergessen gehabt, daß der Teufel ihn verführt hatte, Spuren auf dem Körper zu hinterlassen.
Doch dann konnte er dem Teufel direkt ins Gesicht lachen. Zu seiner großen Verwunderung hatten ihm die Polizeibeamten mitgeteilt, daß ihn der Test freisprach. Das war der letzte Beweis, den er brauchte, nun war er überzeugt, auf dem richtigen Weg zu sein und daß nichts ihn hindern konnte. Er war auserwählt. Er war beschützt. Er war gesegnet.
Langsam strich er dem Mädchen noch einmal übers Haar. Er würde ein neues finden müssen.
Es dauerte nur zehn Minuten, dann rief Annika zurück.
»Es war genau so, wie du dir schon gedacht hattest. Jacob hat wieder Krebs bekommen. Aber diesmal ist es nicht Leukämie, sondern ein großer Tumor im Gehirn. Man mußte ihm mitteilen, daß man nichts tun kann, die Krankheit ist zu weit fortgeschritten.«
»Wann hat er diesen Bescheid bekommen?«
Annika schaute in die Notizen, die sie sich auf dem Block gemacht hatte. »Am selben Tag, als Tanja verschwand.«
Patrik ließ sich schwer auf die Couch im Wohnzimmer fallen. Er wußte es jetzt, aber es fiel ihm dennoch schwer, es zu glauben. Das Haus atmete eine solche Ruhe, einen solchen Frieden. Es gab keine Spur der Bosheit, für die er den Beweis in Händen hielt. Nur trügerische Normalität. Blumen in einer Vase, Kinderspielzeug in den Zimmern verstreut, ein halbgelesenes Buch auf dem Sofatisch. Keine Totenköpfe, keine blutbespritzten Kleider, keine schwarzen brennenden Kerzen.
Über dem Kamin hing sogar ein Bild von Jesus, auf seinem Weg in den Himmel nach der Auferstehung, mit einem Heiligenschein um den Kopf, und auf der Erde unter ihm standen betende Menschen, die zu ihm aufblickten.
Wie konnte man die schlimmsten aller Taten damit rechtfertigen, daß man es mit einem Freibrief von Gott tat? Aber vielleicht war das gar nicht so merkwürdig. Im Laufe der Zeiten waren Millionen von Menschen im Namen Gottes ermordet worden. In dieser Macht lag eine Verlockung, die den Menschen berauschte und verwirrte.
Patrik riß sich aus seinen theologischen Überlegungen und bemerkte, daß nun das ganze Team vor ihm stand und ihn ansah, in Erwartung weiterer Instruktionen. Er hatte ihnen gezeigt, was er gefunden hatte, und jeder hatte nun mit sich zu kämpfen, um nicht an die Schrecken zu denken, die Jenny in diesem Moment vielleicht gerade ausstand.
Das Problem war nur, daß sie nicht die geringste Ahnung hatten, wo sich das Mädchen befand. Während Patrik auf den Rückruf von Annika gewartet hatte, war die Suche im Haus noch fieberhafter fortgeführt worden, und er selbst hatte im Gutshof angerufen und Marita, Gabriel und Laine gefragt, ob es noch einen Ort geben könnte, wo sich Jacob möglicherweise aufhielt. Ihre Gegenfragen hatte er schroff abgewehrt. Dazu war jetzt keine Zeit.
Er zerwühlte sich die Haare, die ohnehin schon zu Berge standen. »Verdammt, wo kann er nur sein? Wir können doch nicht die ganze Gegend Zentimeter für Zentimeter absuchen? Und genausogut kann er sie in der Nähe von Bullaren versteckt haben oder irgendwo dazwischen? Scheiße, was sollen wir nur machen?« sagte er frustriert.
Martin verspürte dieselbe Ratlosigkeit und erwiderte nichts. Patrik
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