Der Preis der Ewigkeit
gehen, nicht ohne ihn. Nicht ohne das Baby.
Auch wenn sie immer noch blass war, verzog Calliope die Lippen zu einem höhnischen Lächeln. „Wie süß. Du kannst dich so sehr bemühen, wie du willst, aber sie kommt hier nicht leb…“ Sie hielt inne. „Was ist das?“
Kronos’ Züge wurden leer, und ich drehte den Kopf, suchte, was immer ihre Aufmerksamkeit geweckt hatte. Was war was ?
Auch Calliopes Blick ging in die Ferne und ihr Lächeln verblasste. „Daddy, mach was“, zischte sie und schließlich hörte ich es.
Ein fernes Donnergrollen, das mit jeder Sekunde lauter wurde.
Krachende Blitze, die den Himmel hinter den tiefblauen Vorhängen erhellten.
Ein Windstoß, der so stark war, dass er heulend durch die Flure fuhr.
Und Kriegsgeschrei aus einem Dutzend Kehlen, das sich zu einer beängstigenden Harmonie vereinte.
Der Rat war gekommen.
Plötzlich war Calliope nicht mehr blass, sondern aschfahl, und ihr Griff um Henry lockerte sich. Ich dachte nicht nach. In diesem Augenblick prägte ich mir das Gefühl der winzigen Hand meines Sohnes in meiner eigenen ein – und ließ los.
Mit aller Kraft stürzte ich mich auf Henry und Calliope und stieß ihn aus dem Weg. Ich packte ihre Faust und hämmerte ihre Knöchel an die Wand, damit sie den Dolch fallen ließe. Doch sie war kein Mensch und genau wie ich spürte sie keinerlei Schmerzen. Egal, wie brutal ich vorging, es war sinnlos.
Doch ich musste Henry genug Zeit verschaffen, um Milo zu packen und zu verschwinden. Verbissen kämpften wir miteinander, Göttin gegen Göttin, und ich stieß einen wütenden Schrei aus. Irgendetwas in mir übernahm das Ruder, etwas Ursprüngliches. Genau wie Calliope kämpfte ich – mit allem, was ich hatte.
„Kronos“, kreischte Calliope, doch er verschwand in einem gespenstischen Nebel – seiner wahren Gestalt. Mit einem Dutzend brüllender Götter im Anmarsch auf den Palast blieb ihm nichts anderes übrig, als zu kämpfen. Calliope wäre er jetzt keine Hilfe mehr.
Dasselbe musste ihr gerade klar geworden sein, denn urplötzlich stieß sie mich von sich, und wir fielen zu Boden, ein Knäuel von Gliedmaßen und Fingernägeln. Sie verdrehte mir den Hals, und ich versuchte, ihr die Augen auszukratzen, aber keine von uns konnte der anderen Schaden zufügen.
„Du Schlampe“, fauchte sie. „Du hinterhältige, nutzlose Schlampe.“
„Du darfst mich nicht umbringen.“ Zentimeter für Zentimeter zwängte ich meine Finger um den Griff des Dolchs, um ihn ihr zu entwinden. „Wenn ich sterbe, bist du genauso tot, schon vergessen?“
„Vater wird mir kein Haar krümmen.“
„Willst du deine Existenz darauf verwetten?“
Sie verkrampfte den Kiefer und zerrte kreischend den Dolch fort von mir. Gegen ihre immense Kraft hatte ich keine Chance; entsetzt musste ich zusehen, wie meine Finger abrutschten und die Spitze der Klinge in meinen Arm fuhr.
Weiß glühender Schmerz raste durch meinen Leib, unendlich viel schlimmer als bei meiner verpatzten Krönungszeremonie fast ein Jahr zuvor, als jener Nebel mein Bein gestreift hatte. Das hier war in mir, verschmolz mit meinem innersten Sein, erstickte es, bis nichts als ein hilfloses Japsen zurückblieb.
Ich würde sterben. Noch zwei Sekunden und ich wäre …
Ein schwarzer Blitz rammte Calliope. Als das Gewicht ihres Körpers von mir verschwand, löste sich auch der erstickende Würgegriff auf. Pure Qual brannte in mir, raubte mir den Atem, und Feuer trat an die Stelle der eisigen Klinge, als das Blut aus meinem Körper strömte. Was war hier los?
Ich öffnete die Augen und rechnete schon halb damit, zu sehen, wohin auch immer Götter gingen, wenn sie starben, doch stattdessen erblickte ich nur Calliopes irres Grinsen, während sie neben mir am Boden lag.
Nein, das war nicht alles. Henry hing über ihr, seltsam an ihren Leib gepresst, in einem Winkel, den ich nicht verstand. Seine Augen wurden groß, sein Mund öffnete sich und die Hände presste er auf irgendetwas an seinen Rippen.
„Gewonnen“, flüsterte Calliope. Und als sie den blutigen Dolch aus Henrys Brust zog, verstand ich schließlich.
3. KAPITEL
DIE SCHWÄRZESTE STUNDE
Vier Jahre lang hatte ich am Bett meiner Mutter gewacht und zugesehen, wie sie dahingesiecht war. Ihr früher starker und gesunder Leib war zu einem armseligen Schatten der Frau geworden, die ich kannte, und es war keine Stunde vergangen, in der ich mir nicht ausgemalt hatte, wie der Tag sein würde, an dem der Tod sie holte.
Ununterbrochen
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