Der Preis der Ewigkeit
der Badewanne sinken und stützte den Kopf in die Hände. Heiß stieg die Frustration in mir auf, drohte sich in einem reißenden Schluchzen Bahn zu brechen, doch ich schluckte es hinunter. Ich brauchte einen Augenblick für mich, und wenn ich weinte, würde Calliope mir bloß hinterherkommen.
„Henry.“ Ich schloss die Lider und versuchte, ihn mir vor Augen zu rufen. „Bitte. Hilf uns.“
Schließlich schaffte ich es, mich in eine Vision zu versenken. Nach fast einem Jahr in diesem Höllenloch hatte ich gelernt, sie zu kontrollieren, doch es war trotzdem noch ein Kampf, so weit zu kommen, dass ich ihn sehen konnte. Um mich herum erschienen goldene Wände, durchbrochen von einer langen Reihe von Fenstern, ganz ähnlich wie jener Raum in Henrys Palast. Doch statt Felsen erblickte ich durch das Glas den grenzenlosen blauen Himmel, und helles Sonnenlicht ergoss sich in den Saal, ließ alles erstrahlen.
„ Du hast das zu verantworten.“ Henrys Stimme riss mich aus meinen Gedanken und ich wandte mich um. Erbittert hielt er Walter beim Revers gepackt, und in seinen mitternachtsschwarzen Augen brannte ein mächtiger Zorn, wie ich ihn nie zuvor gesehen hatte.
„Es musste sein“, erwiderte Walter unsicher. Selbst er sah ängstlich aus. „Wir brauchen dich, Bruder, und wenn das nötig war, um dir vor Augen zu führen, dass …“
Henry warf Walter so hart gegen die Wand, dass es krachte und ein Netz von tiefen Rissen zurückblieb. „Dafür wirst du bezahlen, und wenn es das Letzte ist, was ich tue“, grollte er.
„Genug“, ertönte da die Stimme meiner Mutter, und beide Brüder wandten den Kopf, um sie anzusehen. Sie sah blass aus und hielt die Hände vor dem Bauch verschlungen, wie sie es immer tat, wenn sie versuchte, sich unter Kontrolle zu halten. „Wir werden Kate retten. Noch haben wir Zeit, und je mehr wir damit vergeuden …“
„Wir können nicht alles für das Leben einer Einzelnen aufs Spiel setzen“, unterbrach Walter sie.
„Dann werde ich es tun“, fauchte Henry.
Walter schüttelte den Kopf. „Es ist viel zu gefährlich für dich, allein zu gehen.“
„Er wird nicht allein sein“, erklärte meine Mutter. „Und wenn dir deine Vorherrschaft im Rat lieb ist …“
Meine Rücken- und Bauchmuskeln zogen sich so schmerzhaft zusammen, dass meine Vision abrupt endete. Mir entwich ein schwaches Schluchzen. Meine Mutter hatte recht – uns blieb keine Zeit mehr. Das Baby kam, sosehr ich auch versuchen mochte zu warten, und wir waren vollkommen allein. Calliope würde es umbringen und mir alles nehmen, was noch von Bedeutung für mich war. Niemand hier würde sie aufhalten. Ob jemand käme oder nicht, es gab keinen Ausweg. Selbst wenn Henry und meine Mutter die Insel angriffen, gäbe es keine Garantie, dass sie Kronos’ Abwehr durchbrechen könnten, und bis dahin wäre es sowieso zu spät.
Das Baby strampelte in meinem Bauch und mühsam riss ich mich zusammen. Ich musste es schaffen. Ich konnte nicht zusammenbrechen. Das Leben meines Babys hing davon ab.
„Es tut mir leid“, flüsterte ich und drückte sanft auf die Stelle, wo es mich getreten hatte. „Ich liebe dich, okay? Ich werde nicht aufhören zu kämpfen, bis du in Sicherheit bist, versprochen.“
Jemand pochte an die Tür und ich zuckte zusammen. „Wenn du darüber nachdenkst, dein Baby in der Badewanne zur Welt zu bringen, vergiss es“, warnte Calliope. „Dieses Baby kommt erst auf die Welt, wenn ich es sage.“
Also steckte tatsächlich sie dahinter, was bedeutete, dass sie mir nicht viel Zeit allein lassen würde. „Augenblick noch“, rief ich und stand lange genug auf, um den Wasserhahn aufzudrehen, damit er mein Flüstern übertönte, falls sie lauschte. Viel würde es nicht bringen, aber für den Moment würde die bloße Illusion von Privatsphäre reichen müssen.
Umständlich setzte ich mich wieder auf den Rand der Badewanne und streichelte meinen Bauch. „Dein Dad ist wirklich toll und bald wirst du ihn auch sehen können … Er wird genauso wenig zulassen, dass Calliope dir das antut, und er ist viel mächtiger als ich. Die ganze Familie ist mächtiger als ich. Heute wird es wahrscheinlich erst mal beängstigend, und es wird wehtun – na ja, mir wird’s wehtun, ich lasse nicht zu, dass sie dir Leid zufügen –, aber letzten Endes wird alles gut werden. Ich versprech’s dir.“
Und das waren keine leeren Worte. Selbst wenn ich dabei sterben würde, Calliope würde mein Baby nicht anrühren. Was auch immer es
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