Der Preis der Ungleichheit: Wie die Spaltung der Gesellschaft unsere Zukunft bedroht (German Edition)
Industrie-Arbeitsplätze in Entwicklungs- und Schwellenländer verlagert, so dass strukturelle Veränderungen dringlicher vonnöten sind.
Der Regierung ist überdies ein weiteres fundamentales Problem entgangen: die sich verschärfende Ungleichheit mit all ihren Folgen auf das Geschehen vor, während und nach der Krise. Vor der Krise lag die durchschnittliche Sparquote der amerikanischen Haushalte knapp über null, und dies bedeutete, dass viele Amerikaner »entsparten«, das heißt negative Ersparnisse hatten. Da den oberen 20 Prozent der Bevölkerung etwa 40 Prozent des Volkseinkommens zufließen und diese etwa 15 Prozent dieses Einkommens sparen (bei einer Sparquote von insgesamt etwa 6 Prozent des Volkseinkommens), weisen die unteren 80 Prozent mit den verbleibenden 60 Prozent des Volkseinkommens eine negative Ersparnis von etwa 10 Prozent ihres Einkommens auf. Selbst wenn die Banken wieder saniert wären und selbst wenn die privaten Haushalte ihre Schulden vollständig zurückgezahlt hätten, dürften diese Haushalte nicht wieder in ihren früheren Konsumrausch verfallen und ständig über ihre Verhältnisse leben, und die Banken dürften ihnen kaum neue Kredite gewähren. Aus diesem Grund ist es unrealistisch anzunehmen, die Konsumexzesse der Zeit vor der Krise würden weitergehen.
Und die rückläufige Lohnquote – die zunehmende Ungleichheit – macht die Erholung, ohne staatliche Unterstützung, zu einem noch schwierigeren Unterfangen.
Diese Fehler in der ökonomischen Analyse hatten Folgen. Der Glaube, die Wirtschaft würde sich aus eigener Kraft alsbald wieder erholen – sobald die Banken mit staatlicher Unterstützung saniert worden waren –, schlug sich in einem Konjunkturpaket nieder, das zu schwachbrüstig und kurzlebig war. Weil die Regierung meinte, der Abschwung wäre nur von kurzer Dauer, ging sie auch davon aus, dass die Unternehmen an ihren Mitarbeitern festhalten würden; doch die Unternehmen wussten es besser und entließen daher mehr Arbeitskräfte, als die Regierung erwartet hatte. Außerdem war das Paket nicht so gut konzipiert, wie es wünschenswert gewesen wäre; die konjunkturbelebende Wirkung pro ausgegebenem Dollar hätte höher sein können. Aber die Auffassung, dass es nur eines kurzzeitig wirkenden Palliativums bedürfe, während sich der Finanzsektor erholte, mag die Regierung dazu verleitet haben, diese Schwächen etwas lockerer zu sehen. 47
Gekrönt wurden Fehleinschätzungen der Regierung auf diesem Feld noch von der Vorstellung, ihre Sprecher müssten die Lage der Wirtschaft nur rosig genug darstellen und so »das Vertrauen wiederherstellen«, und schon würde der allmächtige amerikanische Verbraucher irgendwie zu seiner früheren Konsumlust zurückfinden. Im März 2009 redeten sie über erste »zarte Pflänzchen« einer Erholung, doch im Sommer waren diese Pflänzchen schon wieder verdorrt. In den folgenden Jahren tauchten gelegentlich Hoffnungsschimmer auf, doch diese wiederholten Versuche, Zuversicht zu verbreiten, haben das Vertrauen (insbesondere in die Regierung und die Notenbank) womöglich nur noch weiter untergraben: Die politische Führungsriege der USA hatte eindeutig nicht verstanden, was los war. 48
Warum der Staat die Wirtschaft kräftig ankurbeln kann
Die Behauptung, der Staat könne durch seine Ausgabenpolitik die Wirtschaft ankurbeln, basiert auf einer zwingenden Logik. Wenn die Regierung die Ausgaben erhöht, wächst das BIP um ein Mehrfaches dieses Betrages. Der Zusammenhang zwischen dem Zuwachs des BIP und der Erhöhung der Staatsausgaben wird Multiplikator genannt. Die Konservativen behaupten, wie nicht anders zu erwarten, der Multiplikator sei
klein – liege vielleicht sogar nahe null. Bei Vollbeschäftigung bewirken höhere Staatsausgaben selbstverständlich keine BIP-Zunahme. Sie müssen andere Ausgaben verdrängen. Wenn die US-Notenbank die Zinsen heraufsetzt oder die Kredite verknappt, um sicherzustellen, dass die erhöhten Staatsausgaben nicht die Inflation anheizen, werden Investitionen verdrängt. Aber diese Erfahrungen sind dann irrelevant für die Beurteilung der Folgen staatlicher Ausgaben, wenn die Arbeitslosigkeit hoch ist (und das wird sie über die kommenden Jahre wohl bleiben) und wenn sich die Notenbank selbst dazu verpflichtet hat, nicht mit Zinserhöhungen darauf zu reagieren. Unter diesen Umständen – den Bedingungen der Großen Rezession – sind Multiplikatoren sehr wahrscheinlich groß, weit über eins. 49
Die
Weitere Kostenlose Bücher