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Der Preis des Lebens

Der Preis des Lebens

Titel: Der Preis des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Endres
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mit abgehackt wirkenden Gesten. Schließlich trat ein älterer Mann mit kurzem grauen Haar nach vorn und nahm die junge Frau in die Arme.
Narijas Schluchzen drang bis in die Schatten der Bäume.
»Ergreifend«, brummte Lorn abfällig.
»Nur weil du es nicht verstehst, musst du es nicht in den Schmutz ziehen.« Visco gab seinem Pferd mit leichtem Schenkeldruck zu verstehen, dass es Zeit war, ebenfalls auf die Lichtung zu treten. Auf dem Zickzackweg zum Tor ließ er den Blick angewidert über die ausgeschlachteten Leiber von Mensch und Tier schweifen: Einigen der Toten fehlte der Kopf, während ein Großteil der Pferde regelrecht zerfetzt war. Dass die Krähen sich bereits seit dem Morgengrauen an den sterblichen Überresten vergangen hatten, machte den Anblick nicht gerade angenehmer. Die Aasvögel stolzierten zwischen den Kadavern umher und hüpften schimpfend davon, wenn Viscos Hengst ihnen zu nahe kam. Doch kaum dass Pferd und Reiter ein Stückchen weiter geritten waren, hopsten sie wie zuvor bei Narija wieder herbei und machten ihren Anspruch auf den schauerlichen Schmaus mit lautem Krächzen von Neuem geltend.
»Seid gegrüßt«, sagte der Grauhaarige über Narijas bebende Schulter hinweg und nickte Visco knapp zu, als dieser seinen Rappen zügelte. »Ich bin Flank Suram. Der Bürgermeister.«
»Visco DeRául.« Der Vampir erwiderte das Nicken. »Was ist hier geschehen, Bürgermeister?«
Ein Schatten huschte über das Gesicht des Mannes.
»Es gibt Dinge, die nicht im Freien besprochen werden sollten«, antwortete er leise. Ein paar der umstehenden Männer schauderten sichtlich; andere nickten, ein paar bekreuzigten sich sogar. Hinter ihnen schrie eine Krähe laut auf. Ein junger Mann zuckte nervös zusammen.
Flank zögerte, ehe er fragte: »Kann ich Euch und Euren Freund zum Frühstück einladen?«
In diesem Moment zügelte Lorn – der Grund für das Krächzen der Aasvögel davor – seinen Braunen neben Viscos Rappen.
»Wir müssen weiter«, drängte der Nachtjäger und ignorierte die hoffnungsvollen Blicke und das Getuschel. Selbst in diese abgelegene Ecke des Reiches war der Ruf der gerüsteten Kirchenjäger durchgedrungen.
»Seid auch Ihr gegrüßt, Jagam .«, sagte Flank respektvoll und blickte danach wieder Visco an. »Nun, was sagt Ihr?«
»Wir müssen weiter «, wiederholte Lorn stoisch.
Auch er sah Visco nun unverwandt an.
Doch der Vampir schwieg. Lorn zuckte mit den dornigen Schultern und war bereits im Begriff, sein Pferd zu wenden, als Visco schließlich dem ergrauten Dorfoberhaupt antwortete:
»Sehr gern, Bürgermeister.« Damit lenkte er sein Pferd durch das qualmende Loch nach Egemunde.
Lorn zögerte und bedachte ein paar der umstehenden Handwerker mit einem besonders grimmigen Blick.
Dann folgte er Visco mit verkniffener Miene.
*
    Egemunde war eine Ansammlung von gut dreißig schlichten, strohgedeckten Holzhäusern, die sich auf engstem Raum im Schatten der Palisade zusammendrängten. Dazu kamen eine Handvoll größerer Gehöfte, eine Schmiede und ein kleines Gasthaus in der Dorfmitte. Zwischen diesem und einem der Bauernhöfe lugte außerdem ein niedriger, von einem Holzkreuz gekrönter Turm hervor, der zu einer Kapelle gehörte.
Flank sorgte dafür, dass Narija von zwei Frauen, die den Arbeitern zuvor frisches Wasser gebracht hatten, nach Hause gebracht wurde. Am Tor hatte Flank dem in den Schoß der Dorfgemeinschaft zurückgekehrten Mädchen die traurige Nachricht überbringen müssen, dass Narijas Bruder Bork in der letzten Nacht beim Angriff der Söldner getötet worden war.
Lorn und Visco führte das Dorfoberhaupt derweil zu einem der größten Gebäude der Siedlung, einem länglichen Bauernhaus mit zwei stattlichen Scheunen. Hühner eilten gackernd über den hellen Lehmboden und pickten nach verstreutem Korn; zwischen den beiden Stallgebäuden und einem aus einem riesigen Fass gezimmerten Taubenschlag suhlte sich ein halbes Dutzend Schweine grunzend im Schlamm.
Als Flank und seine Gäste den Hof halb überquert hatten, wurde die Tür des Hauptgebäudes mit einem energischen Ruck aufgerissen. Ein kleiner Junge von vielleicht sieben oder acht Jahren rannte ihnen entgegen. Ehrfürchtig starrte der Bursche auf Lorns Rüstung, die Narben im Gesicht des Jagam und die Waffen, die sich hinter Lorns dornengekrönten Schultern kreuzten.
»Man starrt keine Fremden an, Corbert«, tadelte Flank seinen Sohn nach ein paar Augenblicken streng; seinen Worten zum Trotz fuhr er dem Jungen liebevoll durch das

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