Der Preis des Lebens
Schnappgeräusch um seine Kehle schlossen.
Von seinem Sturz, dem Aufschlag auf dem Boden und den vielen, vielen scharfen Zähnen, die tief in seinen Leib eindrangen, merkte der Hauptmann allerdings nichts mehr.
*
Narija wusste nicht, wie lange sie durch Nebel und Dunkelheit gerannt war, als sie unversehens stolperte und umknickte. Sie humpelte und hopste noch zwei, drei Schritt auf einem Bein, ehe sie mit dem Rücken gegen eine knorrige alte Eiche sank, an deren Stamm sie langsam zu Boden rutschte, bis sie sich wie ein wimmerndes Häufchen Elend zusammenkauerte.
»Alles in Ordnung?«
Narija blinzelte den Tränenschleier fort und erstarrte.
Der Vampir stand von einer Sekunde auf die nächste vor ihr, als hätte der Waldboden oder die Nacht selbst ihn ausgespuckt. Dennoch empfand Narija keine Furcht. Nur Wut. »Du musst einem Bauernmädchen nicht helfen!« , fauchte sie und versuchte, aus eigener Kraft aufzustehen.
Es blieb bei einem Versuch. Mit der rechten Hand am Knöchel sank sie augenblicklich wieder leise jammernd gegen den Stamm.
Visco sah sie nachdenklich an.
»Was?« , giftete Narija.
»Nichts«, meinte der Vampir leichthin und spähte übertrieben beiläufig in den Nebel, in dem die Schatten des Waldes hinter wabernden Schwaden und sanften grauen Wirbeln ein gespenstisches Eigenleben entwickelten. »Ich überlege nur gerade, was ich an deiner Stelle tun würde.« Unter dem Umhang zuckte er andeutungsweise mit den Schultern. »Ob ich auch den erstbesten Menschen verärgern würde, der mir helfen will, wenn ich hier verletzt säße.«
»Menschen?« Visco knurrte wie ein schlecht gelaunter Wolf .
Für einen Moment fürchtete Narija schon, einen Fehler begangen zu haben.
Doch Visco atmete bloß ein paarmal tief durch.
»Lass Lorns schlechte Angewohnheiten seine Sache bleiben, ja? Jetzt zeig schon her.« Nur zögernd ließ Narija ihn gewähren, als er neben ihr niederkniete. Visco schob ihren Rock ein Stück nach oben und betastete den Knöchel vorsichtig mit schlanken, kühlen Fingern. »Nichts gebrochen«, konstatierte er. »Laufen kannst du damit heute aber nicht mehr.« Noch bevor Narija auch nur etwas sagen konnte, hatte er schon einen Arm um ihre Schultern geschlungen und den anderen unter ihre Knie geschoben. Er hob sie wie ein Kind hoch, um sie vorsichtig zu einem moosüberwucherten Baumstamm in der Nähe zu tragen, den ein Sturm aus dem Boden gerissen hatte. Dort ließ er Narija sanft auf der natürlichen, feuchten Bank ab und setzte sich neben sie auf den Stamm.
»Wieso gehen wir nicht zurück zur Höhle?« Misstrauen und noch etwas anderes schwangen in Narijas Stimme mit.
Visco schottete sich gegen den Geruch der Angst ab, der etwas tief Verborgenes in ihm reizte.
Sie würden zur Höhle zurückgehen.
Bald. Vorher musste er noch etwas tun.
Wieder atmete er schwer durch. »Lorn hat es nicht so gemeint«, sagte er nach ein paar Sekunden schließlich und richtete den Blick auf Narijas Dekolleté. Wenigstens hatte er den Anstand, verlegen zu lächeln und ihr wieder ins Gesicht zu schauen, ehe er weitersprach. »Er weiß genauso gut wie ich, dass du kein einfältiges Bauernmädchen bist. Das solltest du wissen, ehe wir zurück gehen. Ich ... will dir nicht wieder nachlaufen müssen, wenn er trotzdem noch mal was in der Art sagt.«
Außerdem ließ Visco DeRául sich nie die Gelegenheit für schöne Worte und Schmeicheleien entgehen, egal wie gut sie vom Mantel der Ernsthaftigkeit verborgen wurden.
Narija, Frau durch und durch, blickte freilich ohne große Mühe unter den Mantel.
»Nett, dass du das sagst«, antwortete sie kühl. Ihre Selbstsicherheit kehrte langsam zurück. »Falls das aber ein Versuch sein sollte, mich dazu zu bewegen, mich hier mit dir auf dem Waldboden zu wälzen, muss ich dich leider trotzdem enttäuschen ...«
Visco ließ sich nichts anmerken, als er sich wortlos erhob und sich die junge Frau ungeachtet ihrer Proteste erneut auf die Arme lud. Innerlich grinste er jedoch, jubilierte das fast vergessene Raubtier. Er liebte Herausforderungen.
3.
Dunst und Nebel tummelten sich noch in den Senken und Bodenmulden, als Visco, Narija und Lorn sich gemeinsam mit dem ersten spärlichen Licht des Tages auf den Weg machten. Der Jagam ritt schweigend voran, während Visco mit Narija hinter sich im Sattel folgte. Nach anfänglichem Zögern hatte Narija die Arme inzwischen fest um Viscos Leibesmitte geschlungen und klammerte sich regelrecht an ihm fest – es war das erste Mal, dass sie auf einem
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