Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Preis des Lebens

Der Preis des Lebens

Titel: Der Preis des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Endres
Vom Netzwerk:
griffen wir nach unseren Waffen und rannten zur Palisade. Als wir am Wall ankamen, sahen wir schon die ersten Toten am Boden liegen, von Pfeilen durchbohrt, mit gebrochenem Genick und verdrehten Gliedern.« Flank stockte kurz. »Jenseits der Palisadenwand hörten wir das Klappern von Rüstungsteilen, das Schnauben von Pferden und das Sirren von Bogensehnen. Dazu gebellte Kommandos im Nebel. Dann kamen die Brandpfeile ...« Ein weiterer tiefer Schluck. »Sie haben das Tor in Brand gesteckt. Als sie dann darauf gewartet haben, dass die Pfeile ihr feuriges Werk verrichten, müssen die Söldner allerdings selbst angegriffen worden sein.« Flank schauderte bei der Erinnerung. »Der Nebel war zu dicht, als dass wir etwas hätten erkennen können. Außerdem traute sich niemand mehr auf die Palisade. Aber es genügte schon, die grässlichen Schreie zu hören ...«
»Ihr wisst also nicht, wer für das Schlachtfest da draußen verantwortlich ist?«, fragte Visco skeptisch. Er tauschte einen flüchtigen Blick mit Lorn aus, dem sein Missfallen ob dieser Neuigkeit ins Gesicht geschrieben stand.
»Nein«, erwiderte Flank seufzend, und es klang nach einem Geständnis. Dunkle Ringe lagen unter seinen müden Augen; seine Hände zitterten leicht, ehe er sie wieder um den Holzbecher schloss. »Es hat nicht lange gedauert, bis die Schreie und das Waffengeklirr verstummten. Wir hatten genug damit zu tun, unsere Verwundeten zu versorgen, die Brände in Schach zu halten und die Toten in die Kapelle zu tragen.«
»Und als das Tor niedergebrannt war?«
»Nichts.« Flank schüttelte den Kopf, als könne er das Ganze selbst noch nicht ganz fassen. »Ich und ein paar Männer nahmen uns schließlich ein Herz und gingen mit Fackeln nach draußen. Außer den Leichen und dem Blut konnten wir aber nichts sehen. Seit dem ...« Flanks Fassade beherrschter Autorität bröckelte zusehends. »Die Hälfte der Leute hat sich in ihren Häusern eingeschlossen. Die anderen arbeiten zwar am Tor – aber nicht, ohne alle paar Sekunden über die Schulter zu spähen.« Er stieß erneut einen Seufzer aus. »Ich bin mit meiner Weisheit am Ende. Wie soll ich den Menschen Mut und Kraft schenken, wenn ich nicht einmal weiß, wovor wir uns fürchten? Geschweige denn, was wir nächste Nacht tun sollen?«
Lorn zog seine Handschuhe wieder an, erhob sich und schritt durch den Raum. Erst an der Tür hielt er kurz inne.
»Ich an Eurer Stelle würde meine sieben Sachen zusammenpacken und verschwinden«, sagte der Jagam, ehe er zusammen mit der Hoffnung aus dem Haus stiefelte.
*
    »Was machst du da?«, fragte Visco unschuldig und lehnte sich mit vor der Brust verschränkten Armen an einen Stützpfeiler des Heubodens.
»Siehst du doch«, gab Lorn knapp zurück, den Blick auf die Riemen, Schnallen und Verschlüsse vor sich gerichtet.
Ja, das sehe ich , stimmte Visco gedanklich zu und sann betrübt darüber nach, wie man sich auch nach mehreren Jahren noch von der Reaktion eines Menschen überraschen lassen konnte.
Gerade von Lorn hatte der Vampir angenommen, dass dieser nicht einfach kaltschnäuzig zusehen oder gar davon reiten würde, wenn ein ganzes Dorf bedroht wurde.
Zwar machte der Nachtjäger in der Regel einen großen Bogen um Klischees und Helden-Pathos jedweder Art, doch sah selbst ein Blinder, der ein wenig über Lorns Vergangenheit Bescheid wusste, die Verbindung zwischen dem Jagam und dem, was derzeit in Egemunde vor sich ging.
»Du kannst nicht einfach ohne ein Wort abhauen.« Visco sprach es wie eine Feststellung aus. »Die Menschen hier fürchten sich, Lorn. Sie haben eine Scheißangst.«
Lorn zog unbeeindruckt einen weiteren Sattelriemen am Geschirr seines Braunen fest.
»Ist es die Kleine?«, fragte der Jagam dann und sah dabei nicht einmal von seiner Arbeit auf.
Ein entschuldigendes Lächeln huschte über Viscos Gesicht, wurde aber sofort wieder von einem ernsten, besorgten Ausdruck abgelöst. Er nickte in Richtung des Scheunentors, von wo aus man einen Großteil des Dorfes überblicken konnte.
Egemunde schien ein etwas zurückgebliebener, aber friedlicher Ort zu sein. Das Dorf und seine Bewohner hatten es nicht verdient, mit einer Welle aus Leid und Blut von der Landkarte geschwemmt zu werden, auf der sie ohnehin nur ein unbedeutender Krümel waren. Wenn überhaupt.
»Bedeutet dir das Schicksal dieser Menschen wirklich so wenig?« Leiser fügte der Vampir hinzu: »Ich kenne dich lange genug, Lorn. Ich weiß , dass irgendwo unter all dem Lederzeug ein Funken

Weitere Kostenlose Bücher