Der Preis des Lebens
Schreibfeder zwischen den Fingern. »Aber das Vieh frisst meine Arbeiter, und das muss aufhören! Zwanzig Männer sind schon verschwunden. Das ist, wenn ich es auf den Ertrag des gesamten Monats hochrechne, eine echte Katastrophe. « Die Schreibfeder rotierte wie eine Brunnenkurbel. »Dabei habe ich mit den Diebstählen schon genug zu tun«, klagte der Pilzkönig verbittert und presste danach die Lippen zusammen.
»Diebstähle?«, fragte Visco pflichtbewusst.
Durik wedelte abfällig mit der Feder. »Kelche, Teppiche, Silberbesteck, Kerzenständer, sogar ein oder zwei Gemälde, dazu ein paar Daunendecken und Kissen.« Der Pilzkönig schnaubte. »Ständig muss ich mir überlegen, wem aus meiner verlausten Dienerschaft ich es am ehesten zutraue, hier und da etwas mitgehen zu lassen, um die Sachen bei Nacht und Nebel oben an der Straße im Wald an einen fahrenden Händler oder ein paar Zigeuner zu verhökern.« Er seufzte erneut. »Die Suche nach dem Dieb würde mich normalerweise schon ausreichend beschäftigen. Aber nein! Nun kommt zu Beginn der Hauptsaison auch noch ein Troll und frisst mir meine Arbeiter weg. Das hatte ich vor ein paar Jahren schon einmal. Ich kenne die Anzeichen: spurlos verschwindende Sammler, zurückgehende Tagesausbeuten, weil die anderen nur noch über ihre Schulter schauen anstatt auf den Boden ...« Die Feder bog sich in stummer Verzweiflung zwischen Duriks Händen.
»Und als würde er es mit Absicht tun, schnappt sich der Troll auch noch stets die Kerle, die am kräftigsten zupacken oder die schwersten Körbe heben können. Es ist zum Verrücktwerden. Ich muss diesen Troll loswerden, sonst ist das ganze Herbstgeschäft ruiniert ...«
Lorn und Visco sahen einander an. Die Leere in ihrer Kasse verursachte ein Geräusch, das nur sie allein hören konnten.
»Wir können Euch den Troll vom Hals schaffen«, begann Visco schließlich bedächtig.
Daraufhin verharrte die Feder wie eingefroren zwischen Duriks Fingern. Sein Blick wurde hart und berechnend.
»Wie viel?« , zischte der Pilzkönig leise.
*
Duriks Güte kannte vor lauter Vorfreude auf einen ausgestopften Trollschädel neben dem Elchkopf über dem Kamin in seinem Arbeitszimmer keine Grenzen.
Nicht nur, dass der Pilzkönig es Lorn und Visco gestattete , die Nacht bei ihren Pferden im warmen Stall zu verbringen. Überdies erlaubte er es dem Nachtjäger und seinem Partner auch noch, zuvor mit dem Rest der tatsächlich ziemlich nervösen Arbeiter-, Diener- und Knechtschaft in einer der langen Hallen das Abendessen einzunehmen.
Also nahmen die beiden Reisenden zwischen müde gähnenden Sammlern, ein paar tuschelnden Hausdienern und einer Handvoll lärmender Waldarbeiter Platz.
Während Lorn die neugierigen Blicke, die seine Rüstung auch hier auf sich zog, geflissentlich ignorierte und schweigsam seinen Eintopf löffelte, knüpfte Visco schnell Kontakte zu seinen Tischnachbarn. Zunächst kam er mit einem korpulenten Holzfäller mit dichtem Schnauzbart zu seiner Linken ins Gespräch, der ihm ein wenig über die Geschichte des Anwesens und insbesondere des Waldes erzählte, nachdem er sich davor erst einmal ausgiebig über irgendeine Schädlingsplage aus dem Vormonat ausgelassen hatte.
»Aber lieber 'nen Schwarm Käfer am Arsch als 'nen Scheißtroll im Nacken, was?«, meinte der Holzfäller grinsend.
»Meine Rede!« Visco erwiderte das satte Grinsen, obwohl Käferbeine und -fühler seinen Gesprächssinn oder gar seinen Humor nur bedingt kitzelten. Aber das alles war wenigstens ein Anfang, ein Einstieg. »Gibt es sonst noch etwas Unheimliches im Wald? Außer Käfern und diesen verdammenswerten Faltern der Fäulnis, meine ich.«
»Kobolde, Waldschrate, Gespenster, Gnome ... sucht es Euch aus, mein Freund! Im Herzen des Waldes war es schon immer gefährlich«, bestätigte der stämmige Waldarbeiter, wackelte mit dem Kopf und nahm einen kräftigen Schluck des stark verdünnten Biers aus seinem Becher. »Deshalb überlassen wir das Gebiet auch sich selbst und halten nur den äußeren Ring in Schuss. Unsere Äxte schlagen ausschließlich da Holz und halten nur die Wege und Pfade frei, auf denen die Sammler unterwegs sind. Weiter traut sich eh niemand vor. Meister Durik verbietet es und ahndet Verstöße sehr streng, meistens mit einer saftigen Kündigung. Er kennt da kein Pardon.« Der Holzfäller senkte die Stimme zu einem Flüstern herab. »Angeblich hat sein Großvater einen Pakt mit den Geistern des Waldes geschlossen. Ihnen gehört das
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