Der Preis des Lebens
Abmachung hätten.«
Visco lächelte schief, dann zuckte er mit den knochigen Schultern. »Lass es mich so sagen: Es hat mich niemand gezwungen, zehn Meter durch die Luft zu springen, während der Landung einen Werwolf zu enthaupten und dir das Leben zu retten. Nachdem ich dich aber schon einmal gerettet habe, stand es mir – denke ich – frei, dafür zu sorgen, dass du nicht verblutest und die Nacht überlebst.« Ein besorgter Ausdruck schlich sich auf Viscos Gesicht. »Du siehst übrigens beschissen aus«, meinte er.
Lorn gab seinem Partner keine Antwort und ließ sich in die Kissen zurücksinken. »Habt ihr alle erwischt?«, fragte er nach einer Weile schläfrig und ohne die Augen zu öffnen.
»Alle enthauptet. Wenn die Felle nicht so bestialisch nach Pisse stinken würden, könnte man mit ihnen sogar noch einiges verdienen.«
»Du meinst, einige Nächte im Bordell finanzieren.«
»Wieso Bordell? Ich hab zurzeit doch Narija.«
Der Nachtjäger grinste schwach.
»Lass sie das bloß nicht hören, Scharfzahn.«
Visco beugte sich nach vorn, die Ellbogen auf die Knie gestützt, das Kinn auf den Fäusten ruhend.
»Ich mag sie, Lorn«, vertraute er seinem Freund an. »Und wenn ich mir ein Leben als Bauer mit Hof und Familie vorstellen könnte, dann würde ich bei ihr bleiben. Ehrlich.« Er seufzte. »Ich weiß wirklich nicht, wie es diesmal sein wird, Lebewohl zu sagen. Es hat was für sich, mehr als zweimal hintereinander neben der gleichen Frau aufzuwachen.«
Doch Lorn hörte Viscos Bekenntnis gar nicht mehr.
Der Jagam war bereits wieder eingeschlafen.
Visco saß noch eine Weile in der Düsternis und hing seinen eigenen Gedanken nach. Dann richtete er – wie in den letzten Tagen so oft – noch einmal die Decken von Lorns Krankenlager und verließ auf leisen Sohlen das kleine Zimmer unter dem Dach des Hauses von Narijas Familie.
*
Ganz Egemunde war auf den Beinen, um die Helden zu verabschieden. Neben Flank standen Narija und die weißhaarige Kräuterfrau Sarena, die Lorn gesund gepflegt hatte.
Der Jagam verzog das Gesicht, als Narija mit feuchten, geröteten Augen Visco einen innigen Abschiedskuss gab und sich förmlich an seinen Hals hing . Da trat Flank an den Jäger heran und versperrte ihm die Sicht auf das Paar.
»Ihr habt uns alle gerettet«, sagte der Bürgermeister ernst und streckte Lorn die linke Hand entgegen. »Wir stehen tief in Eurer Schuld.«
Zögernd streckte Lorn die unverletzte Linke aus und schüttelte die dargebotene Hand des ergrauten Dorfoberhaupts.
»Ihr habt Euren Teil dazu beigetragen«, antwortete er schlicht und zog sich dann mit schmerzverzerrtem Gesicht in den Sattel. Sarena lächelte gemein und nickte Lorn wissend zu. Sie hatte ihn gewarnt, dass er die Schulter noch einige Zeit spüren würde – und sie hatte es nicht gerne gesehen, als Lorn die Armschlaufe abgelehnt und sich mit einem dicken Verband unter seiner von Fugar gewissenhaft reparierten, neu gepolsterten Schulterpanzerung begnügt hatte.
»Ohne Eure Hilfe hätten wir uns mit dem Schicksal abgefunden«, meinte Flank derweil ernst und tätschelte Lorns Braunem die Nase. »Nehmt den Ruhm an, der Euch gebührt, Jagam. Für uns seid ihr Helden.«
»Helden« , schnaubte Lorn verächtlich und ritt danach mit ausdrucksloser Miene an jenen jubelnden Dorfbewohnern vorbei, die ihn wenige Tage zuvor noch verteufelt hatten.
Aus den Augenwinkeln sah er, wie Visco sich zögerlich aus Narijas Umarmung löste. Hätte der Nachtjäger es nicht besser gewusst, hätte er beinahe glauben können, dass seinem Partner der Abschied diesmal wirklich schwer fiel.
Ehe sich Visco nach diversen Umarmungen und diversen geschüttelten Händen endlich in den Sattel zog, griff der geläuterte Vampir unter seinen Umhang und warf Flanks Sohn einen kleinen, prall gefüllten Sack zu.
»Können wir?«, fragte Visco Lorn übertrieben fröhlich, als er seinen Rappen neben dessen Braunen lenkte.
Das finstere Gesicht des Jagam sprach Bände.
»Du hast ihnen ...?«
Visco zwinkerte Lorn zu, drückte seinem Pferd die Schenkel in die Seite und ritt als erster in Richtung Waldrand.
»Idiot«, grollte der Jagam, folgte seinem Partner aber dichtauf über die von einem Regenguss reingewaschene Lichtung, wo nichts an die Kämpfe und die Toten erinnerte, die das Gras und die Erde vor Kurzem geschmeckt hatten.
Die Dorfbewohner sahen den beiden ungleichen Gefährten hinterher. Dann richteten sich ihre Blicke nach und nach neugierig auf Flank, der seinerseits skeptisch in den
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