Der Preis des Lebens
Fährte gesetzt. Also, schon wissentlich. Aber ohne von« – Lorn verzog angewidert das Gesicht – » uns zu wissen.«
Das Bild fügte sich schnell zusammen: Lemis, dessen Informationsnetzwerk ihm einen einzelnen Vampir ohne Verbindungen und Familie in der Stadt liefern sollte, auf den sich die Frischlinge stürzen konnten. Da Lorn ein Zimmer am anderen Ende des Ganges bewohnte und sie außerdem in der Menge vor den Stadttoren getrennt worden waren und Namask nicht zusammen betreten hatten, hatte Lemis' Spion wohl keine Verbindung zwischen Lorn und dem bleichen Fremden hergestellt. Oder für sein schnell gemachtes Geld einfach nur schlampig beobachtet, wie so oft.
Lorn griff nach den dicken Fußknöcheln des Axtträgers.
»Jetzt pack schon mit an«, murrte der Nachtjäger ungeduldig, als Visco kerzengerade stehen blieb und die Sekunden im Schein der Öl-Laterne verstrichen. »Wir sollten sie wegschaffen, bevor zu viele Fragen gestellt werden. Und dann müssen wir los. Ich habe einen neuen Auftrag für uns. Außerdem werden die Kerle hier und ihre beiden Kameraden im Innenhof nicht ewig bewusstlos bleiben.«
Visco rührte sich immer noch keinen Zoll.
Lorn schnaubte verächtlich, ließ die Knöchel des Mannes wieder los, erhob sich umständlich und sah Visco halb fragend, halb genervt an. Visco griff indes nach seinem Umhang und schwang ihn sich um die Schultern. Jede seiner Bewegungen war mit Emotionen, mit heißer Wut geladen.
»Das ist dir alles scheißegal, nicht wahr? Dass mich sechs deiner Brüder umbringen wollen. Dass sie von mir gewusst haben. Dass ...«
»Visco ...«
»... sie mich wahrscheinlich abgeschlachtet hätten, wenn du auf der Treppe gestolpert wärst! Oder dass ich auch ohne Weiteres nicht in d ...«
»Visco!«
Der Vampir verstummte.
»Ich stolpere nicht. Außerdem sind die Kerle ...«
»Nein.« Viscos Stimme wurde hart wie Granit. »So läuft das diesmal nicht. Immer deine elende Eigenbrötlerei! Aber diesmal bist du entschieden zu weit gegangen, Jagam!« Der Vampir brachte sein Gesicht ganz nahe an das des Jägers; seine Augen glühten im Widerschein der kleinen Laterne.
Lorn sah, dass Viscos Reißzähne nach wie vor hervor standen.
Adrenalin pur. Aufregung. Wut. Zorn. Hass. »Scheiße, du hast bewusst mit meinem Leben gespielt!«, zischte Visco. »Selbst wenn ich in deinen Augen kein vollwertiger Mensch mehr bin, ist das unverzeihlich. Wir sind Partner , falls du das vergessen haben solltest!« Fast hätte der Vampir Freunde gesagt. »Als du gemerkt hast, dass die es auf mich abgesehen haben, hättest du deinen Arsch verdammt noch mal sofort hier rauf schleppen müssen! Und was tust du? Missbrauchst mich als Köder und bedauerst das dann hinterher nicht einmal ansatzweise. Und dann zögerst du auch noch und hältst dich bei deinen Brüdern zurück.«
Lorn sah Visco unbeeindruckt an. »Weißt du, was ich wirklich bedaure?«, fragte der Jagam tonlos.
»Nein« , murmelte Visco übel gelaunt.
Die Narben in Lorns Gesicht spannten sich kurz.
»Dass die Sache mit dem Knoblauch nur eine Legende ist und bei dir eh nichts bringen würde. Und jetzt pack mit an ...«
*
Als ein Bettler unter einem Müllberg neben dem Salamander das schwarze Bündel aus bewusstlosen beziehungsweise toten Nachtjägern entdeckte und skeptisch einen Blick auf seine Schnapsflasche warf, saßen Lorn und Visco bereits seit einer guten Viertelstunde im Sattel und waren mindestens ein Dutzend Straßen weiter.
Lorn dachte darüber nach, ob es ihm nicht mehr bedeuten sollte, dass sie gerade eben eine ganze Zelle seiner einstigen Ordensbrüder wie faulen Unrat in einer stinkenden Sackgasse entsorgt hatten – zwei davon sogar von seinem Gefährten, einem ehemaligen Kind der Finsternis, getötet.
Er horchte angestrengt in sich hinein, fand dort aber nichts als Kälte. Anscheinend waren mit den Jahren auch seine letzten Gefühle für den Orden vergangen. Inzwischen spürte er nicht einmal mehr etwas von seiner früheren Wut, wenn er an die arroganten Obrigkeiten dachte. Der Orden gehörte zu einem anderen Menschen und einem Leben, nach dem er sich nur noch ganz selten – so wie vorhin, in Lemis' Gesellschaft – sehnte.
Wieso behältst du dann die Rüstung? Lorn hätte seiner inneren Stimme gerne geantwortet, dass er es aus Gewohnheit und praktischen Erwägungen tat. Aber er wusste, dass das nur die halbe Wahrheit gewesen wäre.
Um sich von diesem Eingeständnis abzulenken, warf Lorn Visco, der neben ihm ritt, einen Blick zu.
Auch der
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