Der Preis des Lebens
spürte die Last der Vergänglichkeit nur mehr als jeder andere. An Abenden wie diesem schien ihm seine Rastlosigkeit eine genauso große Pein zu sein wie in früheren Nächten der Blutdurst. Manchmal kam es ihm fast so vor, als hätte er einen Fluch gegen den nächsten eingetauscht ...
Ehe Visco sich noch weiter in solchen Betrachtungen verlieren konnte, kratze eine Empfindung an seinen Sinnen und bettelte wie ein von der mitternächtlichen Pirsch zurückkehrender Kater um Viscos Aufmerksamkeit.
Dankbar für jede Ablenkung, stürzte sich auch der Rest des verbliebenen Raubtieres in Visco DeRául sofort auf die schwache Wahrnehmung am Rand seines Bewusstseins.
Visco starrte auf die Tür zu seiner Kammer.
Dann runzelte er die Stirn, schloss die Augen und konzentrierte sich ganz auf seine Sinne, öffnete sich ihnen voll und ganz. Er ignorierte das Schnarchen und Stöhnen und drang auf andere, tierischere Ebenen der Wahrnehmung vor – Ebenen aus Düften und Schwingungen und Geräuschen, die wohl nur ein Raubtier der Nacht dem anderen hätte erklären können.
Sechs Herzschläge.
Anspannung. Schweiß. Adrenalin. Stahl.
In Richtung seines Zimmers. Mehr brauchte Visco nicht. Für die Dauer weniger Sekunden ließ er die Augen noch geschlossen, krampften sich die Finger des bekehrten Vampirs noch um den Kerzenstummel. Dann verstaute er den Stummel sorgfältig in der Brusttasche seines Hemds und erhob sich. Entschlossen schritt er zur Wand, wo neben den Satteltaschen sein Rapier an den alten Holzpaneelen lehnte. Viscos Finger betasteten nun den kühlen Griff der Waffe; eine eigenartige, gleichgültige Ruhe durchströmte ihn.
Seine Sinne meldeten ihm inzwischen, dass die Fremden sich rechts und links der Tür aufteilten. Visco folgte einer Eingebung und ließ das Raubtier in ihm noch einmal in die andere Richtung ausgreifen, hinaus in die Nacht und hinab in den Innenhof unter seinem Fenster.
Und tatsächlich: Dort warteten zwei weitere Männer in den Schatten des überstehenden Daches . Eine Flucht in den Hof wäre also sinnlos gewesen. Den Sprung würde er wohl ohne längerfristige Nachwirkungen überstehen – doch die drei, vier Sekunden, die seine Heilkräfte benötigten, um alle Knochen und Knorpel in den Beinen zu richten, würden den beiden Bewaffneten dort unten wahrscheinlich schon genügen, um ihm den Rest zu geben.
Visco wirbelte genau in dem Moment mit gezogener Klinge herum, da die Tür mit einem einzigen Tritt nach innen eingetreten wurde und krachend gegen die Wand knallte.
Ein massiger Schatten zwängte sich als erster in die Kammer, ein zweiter, etwas kleinerer Schemen folgte ihm; Waffen schimmerten im Widerschein der runtergedrehten Öllampen auf dem Gang wie ferne Planeten.
Visco tauchte unter dem wuchtigen Axtschwinger des bulligen Angreifers hinweg und blockte den von oben geführten Schwertstreich des anderen Kerls. Die Reste seiner früheren Stärke halfen ihm, den Schwertkämpfer ohne Mühe von sich zu schleudern, sodass der hochgewachsene Mann durch die Luft segelte und genau in zwei seiner Kumpane prallte, die ob der Enge von Viscos gemietetem Quartier im Türrahmen auf ihre Chance zum Eingreifen gelauert hatten.
Doch schon griff der Hüne mit der Axt erneut an und hieb wie ein irrer Holzfäller nach Visco, der geschickt auswich. Allerdings wurde das Ausweichen merklich schwieriger, als von draußen doch noch ein anderer Mann mit einem kurzen Streitkolben und einer mit einem Kurzschwert hinzu stießen und diese beiden ebenfalls nach Visco hackten und schlugen.
Die schmale Klinge des Vampirs traf den Riesen mit der Axt trotzdem an der Schulter und hielt die anderen beiden zunächst noch auf Abstand. Visco wich zurück, bis er das hölzerne Fensterbrett in seinem Rücken spürte; sein Rapier beschrieb drohende, silberne Kreise. Die Zeit verstrich zäh wie Sirup, bis sich das Angreifer-Trio schließlich erst einmal ein Stück in Richtung Tür zurückzog, um sich neu zu formieren und abermals dicht beisammen vor Visco aufzubauen.
Der Koloss mit der Axt stand wie ein Fels zwischen seinen Gefährten und richtete im von draußen in die Kammer drängenden Licht einen geringschätzigen Blick auf den blutigen Kratzer an seiner Schulter, ehe er die Axt einfach in die andere Hand wechselte und Visco vor die Füße spuckte.
Seit Betreten der Kammer hatte keiner auch nur ein Wort gesprochen. Hier trafen Profis aufeinander, die um die Wertlosigkeit von Beleidigungen gegen ihresgleichen Bescheid wussten.
Genauso wie
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