Der Preis des Lebens
Visco wusste, dass er keine Chance hatte.
In der Enge des Zimmers konnte er seine Schnelligkeit gegen einen koordinierten Angriff dreier bestens ausgebildeter Gegner nicht sonderlich lange ausspielen. Alle vampirischen Kraftreserven würden ihm nichts nützen, wenn er sich auf Dauer drei gedrillten Angreifern und ihren Klingen aus unterschiedlichen Richtungen und in verschiedenen Höhen erwehren musste. Irgendwann würde er getroffen werden, vermutlich mehrere Male und in rascher Folge hintereinander – und für diese Art von Verletzungen brauchte seine Selbstheilung schlichtweg zu lange. Die Axt des Riesen würde ihm den Kopf von den Schultern geschlagen haben, lange bevor er wieder kampfbereit wäre. Selbst ein Dutzend entschlossener Schwerthiebe mochten schon zu viel sein, wenn sie lebenswichtige Organe trafen oder Visco in zu kurzer Zeit zu viel Blut verlor ...
Viscos Finger schmerzten, so fest umklammerte er das Heft seines Rapiers. Sollte er es doch wagen und aus dem Fenster in die Nacht springen? Visco rang noch mit einer Entscheidung, als seine Erfahrung und seine feinen Sinne ihm bereits verrieten, dass die unter ihren schwarzen Lederrüstungen schwitzenden Männer jeden Augenblick losspringen und ihn zu dritt in die Mangel nehmen würden ...
Plötzlich setzte draußen auf dem Gang der Lärm eines Gerangels ein. Ächzen und Poltern, ein unterdrückter Schrei, dann ein Gurgeln und ein dumpfes, lautes Rumpeln.
Kurz darauf erschien ein Schatten in der Tür.
Aus seinen Schultern ragten je vier kurze Dornen.
Ohne den geringsten Laut stürzte der Schatten sich von hinten auf den Axtkämpfer und zog ihm das Heft seines Schwertes über den Kopf. Visco entblößte derweil zwei spitze Reißzähne und trat ebenfalls rasch nach vorn, um sich den anderen beiden Kerlen zu widmen, die vor lauter Überraschung wie versteinert dastanden und das morbide Geschenk seiner schlanken Klinge ohne nennenswerten Widerstand empfingen.
Schwer atmend sahen die verbliebenen beiden Männer einander an. Dann richtete sich ihr Blick auf die Rüstungen der Fremden. Visco registrierte nun erstmals auch die Dornen, die sowohl aus der Schulterpanzerung seines Gegenübers, als auch aus der Rüstung seiner am Boden liegenden Angreifer – tot wie bewusstlos – ragten.
»Hm«, intonierte der Vampir wenig hilfreich.
»Genau, hm.«
Viscos Retter schob sein Schwert unwirsch ins Waffengehänge.
»Kann man dich nicht mal einen Abend allein lassen, ohne dass du die Tochter des Herzogs vögelst oder eine ganze Zelle Jagam anlockst, Scharfzahn?«
*
»Das sind wirklich Jagam«, stellte Visco überflüssigerweise fest, als er und Lorn sich die Schweinerei im Licht einer rasch entzündeten Lampe betrachteten. Die Rüstungen hätte man stehlen oder nachahmen können – die kämpferischen Fertigkeiten und vor allem die Tätowierungen auf dem rechten Handrücken sprachen jedoch eine deutliche Sprache.
Lorns Gesicht war eine emotionslose Maske, als er den Handschuh des Dicken wieder nach hinten schob. Er strich sich über den Bart. »Ich habe sie schon eine Weile beobachtet. Bis sie ins Haus geschlichen sind.«
Visco starrte seinen Partner fassungslos an.
»Du wusstest , dass die Mistkerle es auf mich abgesehen haben?«, fragte er verständnislos. Dann aber erhellte Verstehen seine fahlen Züge. »Deshalb hast du dem Dicken da nur eines mit der Breitseite übergezogen. Wahrscheinlich schlafen die Kerle draußen auf dem Gang auch nur, mh?«
Lorn nickte widerwillig.
Visco presste die Kiefer aufeinander. »Du hast sie also angreifen lassen, obwohl du wusstest, dass es Jagam sind, die es wahrscheinlich auf mich abgesehen haben, ja? Und nur mit halber Kraft gekämpft?« Seine Augen blitzten zornig. »Was, wenn ich geschlafen hätte?«
Lorn zuckte mit den Schultern. »Unwahrscheinlich. Ich ging davon aus, dass du entweder das blonde Schankmädchen endlich rumgekriegt hast oder mal wieder trübsinnig im Dunkeln hockst und grübelst.« Der Nachtjäger warf einen vielsagenden Blick auf das ordentlich gemachte Bett. »Ein Freund erzählte mir vorhin erst von einer Zelle Jagam. Ich glaube, wir haben sie gefunden.« Sein Kinn ruckte in Richtung des jugendlichen Gesichts. »Gerade aus dem Schoß des Ordens entlassen, würde ich sagen. Frischlinge «, fügte er verächtlich hinzu.
»Sie wussten nichts von ... uns ?«, fragte Visco.
Lorns Blick sagte alles darüber, was er von dieser Formulierung hielt. »Lemis – mein Bekannter – hat sie wohl unwissentlich auf deine
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