Der Preis des Lebens
Vampir trug seit dem Vorfall im Salamander einen Schutzpanzer aus schlechter Laune und kalter Wut nach außen – allerdings mit deutlich mehr Dornen als Lorns Jagam-Rüstung.
»Du schmollst wie ein kleines Mädchen«, sagte der Nachtjäger nach einer Weile, um den Vampir aus der Reserve zu locken. Als Visco an der nächsten Kreuzung immer noch schwieg, schnaubte der Nachtjäger genervt. »Pass auf«, knurrte Lorn noch einmal ungeduldig. »Ich hätte dir vielleicht Bescheid geben müssen. Aber ich konnte erst sicher sein, dass sie es wirklich auf dich abgesehen haben, als sie vor deiner Tür standen. Und dann war es zu spät, um dich zu warnen, und besser, abzuwarten und ihnen anschließend in den Rücken zu fallen.«
»Ganz der Taktiker, was?« Viscos Sarkasmus schnitt durch die Nacht. »Der Herr war sich also nicht sicher, ob sie nicht einen anderen Vampir in unserem Gasthaus gejagt haben, was? Na, sag das doch gleich, Partner!« »Visco ...«
Der Vampir ignorierte Lorns hervorgepressten Einwand.
»Und was soll das überhaupt heißen, du musstest erst sicher sein? Sonst klingst du doch immer, als wärest du der bestinformierteste Jagam des ganzen verschissenen Kontinents, du großkotziges Arschloch!«
Lorn riss am Zügel seines Braunen. »Das reicht jetzt, Visco«, brummte der Jagam leise, aber bestimmt. Drohend.
Visco ließ seinen Rappen erst nach weiteren zwei oder drei Metern anhalten. Es verdeutlichte die momentane Kluft zwischen ihm und dem Nachtjäger.
»Das hast du nicht zu entscheiden, Jagam «, flüsterte der Vampir kalt über die Schulter nach hinten.
Lorn grunzte. »Übertreib's nicht, Scharfzahn. Geschehen ist geschehen. Jetzt konzentrier dich auf den Auftrag, ja?«
Ein Schatten des Zorns huschte über die blassen Züge des Vampirs; er fletschte die Zähne und schien sich kaum noch in der Gewalt zu haben. Lorns Versuch, der Situation die Spannung zu nehmen, schien Visco nur noch wütender zu machen.
» Du hast einen Auftrag, meinst du.« Viscos gepresste Stimme klang mit einem Mal eigenartig sachlich, als er fortfuhr. »Gratuliere. In letzter Zeit scheinst du ja eh auf diese Einsamer-Wolf-Nummer zu stehen.« Nun kehrte das bittere Grollen zurück. »Sieh zu, wie du alleine klar kommst. Ich warte so lange, bis die nächsten deiner Brüder kommen, mich umzubringen, während du tatenlos dabei zusiehst.«
Mit diesen Worten wandte er sich ab, ließ die Zügel knallen und verschwand in einer Querstraße.
Lorn sah ihm mit regungsloser Miene nach.
Es war nicht seine Art, Visco hinterher zu reiten.
Er hatte sich entschuldigt. Mehr war nicht drin.
Dennoch gefiel es ihm nicht, dass sie für den Moment so auseinander gingen und er alleine losziehen musste.
Doch der Auftrag konnte nicht warten. Das hatte Lemis unmissverständlich klar gemacht.
Nach einer Weile zuckte Lorn mit den Schultern.
Also wie früher, vor und eben ohne Visco DeRául.
Auf die gute, altmodische Art ...
2.
Die Arroganz ihrer Rasse verhinderte, dass jemand wie Visco, der sich immer noch wie ein Vampir benahm und bewegte, von irgendjemandem genauer überprüft wurde, wenn er sich unter seinesgleichen begab. Über zweihundert Jahre auf der Seite der Finsternis hatten Visco hinreichend Gelegenheit gegeben, das Auftreten eines vollendeten Raubtiers der Nacht zu entwickeln – so etwas legte man nicht binnen vier Jahren ab.
Obwohl das Ritual in Nugals Arbeitszimmer ihm einen Teil seiner alten Menschlichkeit und in Folge dessen einen schnelleren, menschlicheren Herzschlag zurückgegeben hatte, fiel Visco unter den hier versammelten Vampiren nicht weiter auf. Zumindest nicht so sehr, als dass man sich die Mühe gemacht hätte, seinen gewöhnlichen Herzschlag oder seine Aura genauer zu überprüfen. Viscos Blick, sein Gang und auch viele kleine Bewegungen und Gesten ließen ihn zumindest äußerlich immer noch als einen Vampir durchgehen.
Also saß Visco unbehelligt im Roten Sichelmond und suchte am Boden seines Weinkrugs nach Wahrheiten. Allerdings wollte der rote Saft an diesem Abend nicht so recht zu ihm sprechen: Weder wusste der Wein, wieso seine Kameradschaft zu Lorn in letzter Zeit einer so großen Spannung unterlag, noch, weshalb diese Spannung heute dermaßen eskaliert war.
Wahrscheinlich, folgerte Visco betrübt, lag es daran, dass sie beide nicht das waren, wonach sie aussahen. Er war nicht der vor kurzem aus dem Exil zurückgekehrte Bastard-Aristokrat, als der er ohne Probleme durchging und sich häufig auch ausgab, und Lorn war bei Weitem
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