Der Preis des Verrats (German Edition)
schüttelte sie ab, Wut und Hilflosigkeit raubten ihm den Atem. Wiederbelebungsversuche waren vollkommen sinnlos. Seine Kehle brannte. Die Luft um ihn herum roch nach Schießpulver und Blut.
„Die Halsschlagader wurde durchtrennt – sie ist tot“, erklärte Mitch mit matter Stimme. „Lass gut sein.“
Reid setzte sich auf. Seine Handflächen waren schmierig vom Blut. Über ihnen donnerte ein Helikopter über das Gebäude, seine Scheinwerfer suchten den Fluss ab. Das gähnende Loch in der Mauer, wo das Fenster gewesen war, hatte den eisigen Januarwind hineingelassen. Reid schauderte, die eiskalte Luft sickerte in seine Brust und erschwerte das Atmen. Aus dem alten Fahrstuhlschacht tönte bereits das mechanische Kurbeln und Rattern, das ihm die Ankunft der Sanitäter ankündigte. Aber es gab nun keine Eile. Noch immer hielt er die gefesselte leblose Hand der Frau.
Zwei Wochen lang war Joshua Cahill ein Verdächtiger in der Mordserie gewesen, die die Presse in großen Lettern als „Capital-Killer-Fall“ betitelt hatte. Cahills Vater hatte alles getan, was möglich war, um die gemeinsamen Ermittlungen von Polizei und FBI von seinem Sohn fernzuhalten. Aber am Ende hatte Reid mit seinem Verdacht recht behalten. Ob sich Senator Braden Cahill um seinen Ruf sorgte oder einfach nur die Augen vor Joshuas Geisteskrankheit verschloss, darüber konnte nur spekuliert werden.
„Ich war verdammt nah daran, einen Stock tiefer zu fallen.“ Mitch war zum Fenster zurückgekehrt, um einen Blick über das schwarze Wasser zu werfen. „Glaubst du, dass er tot ist?“
„Vielleicht“, antwortete Reid leise. „Ich weiß es nicht.“
Er schloss die Augen vor der Szenerie, die sich ihm bot. Schmerz machte sich in seinem Kopf breit, der Beginn einer weiteren Migräneattacke. Um alles in der Welt hatte er Cahills Mordserie bei fünf Opfern beenden wollen. Aber heute Abend war eine weitere Frau auf der schaurigen, sinnlosen Liste gelandet. Hätte er seine Chance nutzen sollen? Hätte er in dem Moment schießen sollen, kurz bevor der Boden nachgab? Bevor Joshua seine Entscheidung traf?
Er stand auf und wappnete sich für den Ansturm von Fragen, der über ihm niedergehen würde. Fragen, die bei seinem Chef, Special Agent in Charge Johnston, anfingen und ohne Zweifel den ganzen Weg vom Capitol Hill herunterkommen würden.
1. KAPITEL
Zwei Jahre später
In der Nähe von Middleburg, Virginia
Ich habe dir vertraut, Caity .
Caitlyn Cahill wurde ruckartig wach, ihr Herz raste. Sie brauchte eine Sekunde, bis ihr klar wurde, dass sie nur wieder geträumt hatte. Trotzdem war das Gesicht ihres Bruders – seine Stimme – so deutlich gewesen, als ob er neben ihrem Bett gestanden hätte. In ihrem Traum ergriff Joshua ein großes Küchenmesser und seine Augen waren schwarz vor Hass.
Sie hatte diesen Albtraum mindestens einmal in der Woche.
Langsam seufzend setzte sie sich auf und schaute zur Uhr auf dem Nachttisch. Draußen vor ihrem Schlafzimmerfenster hörte sie nur die vertrauten morgendlichen Geräusche. Obwohl es noch nicht ganz hell war, zwitscherte schon eine Lerche von einem Ast der stattlichen Eiche mit den orangefarbenen Blättern, und vom Stall her drang Pferdegewieher zu ihr herüber. Caitlyn hatte in dem hügeligen Pferdeland im Norden Virginias Zuflucht gefunden. Ihr Treuhandfonds hatte das Geld für das weitläufige zweistöckige Farmhaus mit dem Stall und dem Ackerland ringsum bereitgestellt.
Sie hatte weggehen müssen.
Nach Joshuas Festnahme und dem tödlichen Schlaganfall ihres Vaters war wenig geblieben, was sie in Washington gehalten hätte. Der Lebensstil der feinen Gesellschaft, in dem man sie erzogen hatte, war von einem Tag zum anderen beendet gewesen. Geächtet war die zutreffendere Beschreibung dafür, wie sie behandelt worden war. Manchmal gestand sie sich im Stillen ein, dass sie sich gewünscht hätte, Joshua wäre an seiner Schusswunde gestorben oder wäre nach seinem Sturz in den Potomac ertrunken und nicht von der Polizei aus den eisigen Tiefen des Flusses gezogen worden. Aber dann überkamen sie Schuldgefühle und dann wieder neue Gewissensbisse, weil siean ihren Bruder dachte, statt an die sechs unschuldigen Opfer, denen er das Leben genommen hatte.
Er war krank . Aber war das eine Entschuldigung?
Nichts konnte jemals erklären, was er getan hatte.
Als Joshuas Prozess vorbei war – ein dreiwöchiges Trauerspiel mit forensischer Beweisführung und psychologischem Gutachten –, hatte Caitlyn leise
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