Der Preis des Verrats (German Edition)
und unauffällig ihre Sachen gepackt und war, ohne ein Wort zu den einstigen Unterstützern und Freunden ihrer Familie, abgereist. Sie verstand, dass jeder mit dem Nachnamen Cahill jetzt als Paria galt und dass es für andere das Beste war, sich von der Familie zu distanzieren, aus Furcht, auf den Cahills würde ein Rest der Schande lasten.
Ihr Vater, Senator Braden Cahill, hatte das Gewicht von Joshuas Sünden nicht zu ertragen vermocht. Er war während einer Pressekonferenz zusammengebrochen, die seinen Rücktritt ankündigte, und starb eine Woche später. Dann hatte ihre Mutter, Caroline, auch noch den Rest ihres Verstands verloren.
Die Rambling-Rose-Farm hatte Caitlyn die Ablenkung geboten, die sie brauchte. Auf einmal hatte sie eine Aufgabe, durch die sie weiterleben konnte, trotz ihres schlechten Rufs und ihrer Scham. Sie hatte den Hof in ein Zentrum für therapeutisches Reiten verwandelt. Behinderte und benachteiligte Kinder durften hier Pferde striegeln, sie versorgen und reiten. Caitlyn hatte Zeit, Energie und Geldmittel eingesetzt, um das tiergestützte Therapieprogramm zu entwickeln. Ihrer Meinung nach war ihre Arbeit auf der Rambling-Rose-Farm ein Weg, das Böse, das ihr Bruder in die Welt getragen hatte, irgendwie wiedergutzumachen.
Es war jetzt Ende Oktober, und die frische Luft des frühen Morgens drang durch das alte Haus. Caitlyn zog einen weiten Strickpulli mit Zopfmuster über ihren Pyjama, dann tappte sie die Treppe hinunter, um Kaffee zu kochen und sich auf den Tag vorzubereiten. Ein Bus mit behinderten Kindern aus D. C. wurde in einigen Stunden erwartet, und sie musste noch bei einem der malerischen Restaurants im nahen Middleburg Lunch-Paketebestellen – Truthahn-Sandwiches, Joghurt, Äpfel und Haferflocken-Rosinen-Plätzchen. Außerdem wollte Caitlyn das Nachmittagsprogramm selbst anleiten und die fortgeschritteneren Kinder zu einem Ritt auf dem Waldpfad mitnehmen. Doch damit nicht genug. Eli Burton, einer der Großtierärzte der Gegend, kam auch hinaus auf die Farm, um sich ein Fohlen anzusehen, das sie vor Kurzem von der Mutter getrennt hatten.
Die Kaffeemaschine hatte gerade angefangen, dampfenden Kaffee in die Kanne zu tröpfeln, da läutete das Telefon. Caitlyn nahm den Hörer zur Hand und klemmte ihn sich zwischen rechte Schulter und Ohr, während sie im Edelstahlkühlschrank nach dem letzten Karotten-Muffin stöberte.
„Ms Cahill?“
„Ja?“
„Hier spricht Hal Feingold.“
Sie schloss die Kühlschranktür. Der Name des Reporters versetzte ihren Magen in Aufruhr.
„Ich möchte mich entschuldigen, dass ich Sie so früh am Morgen anrufe. Sie erinnern sich vielleicht an mich. Ich habe für die Washington Post über die Ermittlungen im Capital-Killer-Fall berichtet, aber jetzt bin ich von da fort und arbeite auf eigene Faust.“
„Ich weiß, wer Sie sind, Mr Feingold“, sagte sie.
„Ich wollte Ihnen erzählen, dass ich an einem Buch arbeite.“
„Über meinen Bruder?“
„Über Ihre Familie, genau genommen. Über ihre Rolle in der Mordermittlung.“
Caitlyn hasste das schwache Zittern in ihrer Stimme. „Ich werde Ihnen keine Genehmigung dazu geben.“
„Die brauche ich nicht, Ms Cahill“, antwortete Feingold in ruhigem Ton. „Alle Akten und Unterlagen sind öffentlich zugänglich. Ganz abgesehen davon, dass Ihr Vater eine Person des öffentlichen Lebens war. Man könnte behaupten, Sie wären ebenso eine. Bei der Festnahme Ihres Bruders haben Sie eine Schlüsselrolle gespielt. Sie haben sein Tagebuch demFBI übergeben, nachdem der Richter – ein Freund von Senator Cahill – sich geweigert hatte, den Befehl zur Durchsuchung und Beschlagnahme für das Anwesen am Logan Circle zu unterzeichnen. Eine sehr mutige Entscheidung. Ich weiß, was das in Ihrer Familie ausgelöst hat …“
Caitlyns Antwort kam schneidend. „Auf Wiedersehen, Mr Feingold.“
„Das Buch wird mit oder ohne Ihre Mitarbeit entstehen. Ich biete Ihnen jetzt die Gelegenheit an, Ihre Version der Geschichte darzustellen. Sie sollten darüber nachdenken.“
Caitlyn starrte durch das Fenster über der tiefen Spüle. Wie in einem Spiegel betrachtete sie ihr Gesicht in der Scheibe und fuhr mit einer Hand durch ihr vom Schlaf zerzaustes, honigblondes Haar. Sie wollte nicht, dass das Buch gedruckt wurde, dass es jetzt, zwei Jahre nach den Vorfällen, neues Interesse weckte. Sie konnte das alles nicht noch einmal durchstehen.
„Ms Cahill? Ich würde gerne zu Ihnen hinauskommen und mit Ihnen
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