Der Preis des Verrats (German Edition)
persönlich darüber sprechen. Vielleicht können wir vereinbaren, dass Sie ein Vorwort schreiben …“
„Bitte, tun Sie das nicht“, flüsterte sie und hängte auf. Eigentlich überraschte es sie nicht, dass jemand die Geschichte ihrer Familie niederschreiben wollte; sie hatte alles, was es zu einem Bestseller brauchte. Zwei Pflegekinder, die in eine liebevolle, prominente Familie gesteckt worden waren und dort alles bekamen, was sie brauchten, um im Leben erfolgreich zu sein. Nur dass eines der Kinder sich seiner inneren Dämonen nicht erwehren konnte und so selbst zum Dämon wurde. Caitlyn war als Säugling adoptiert worden, aber Joshua war einige Jahre älter gewesen, als man ihn seiner gewalttätigen, drogenabhängigen Mutter wegnahm. Nach Aussage der Psychologen war der Schaden jedoch bereits entstanden. Aber es hatte Jahre gebraucht, bis das Böse hervorbrach. Und nur weil es in D. C. keine Todesstrafe gab, war Joshua vor der Todeszelle bewahrt worden.
Wenn sie über ihn nachdachte, kroch eine Mischung aus Wut und Bitterkeit in ihr hoch. Er war nicht ihr biologischer Bruder,aber sie hatten eine enge Beziehung zueinander gehabt, bis Joshuas Schizophrenie mit Anfang zwanzig schlimmer wurde. Sie wollte sich an ihn erinnern, wie er in ihrer Kindheit gewesen war – schüchtern, unglaublich intelligent, trotzdem auch sehr verschlossen –, aber irgendwie gelang es ihr nicht. Alles, was sie sah, war das Gesicht eines Killers. Caitlyn ließ den Muffin auf der abgenutzten hölzernen Küchentheke zurück, auch den Kaffee hatte sie vergessen. Sie hatte die Küche noch nicht verlassen, da läutete das Telefon erneut. Schon erwartete sie wieder den aufdringlichen Journalisten. Ihre Reaktion war kurz und bündig.
„Mr Feingold …“
„Caitlyn, hier ist Manny Ruiz.“
„Manny“, sagte sie und seufzte. Erleichterung machte sich in ihr breit. Der große, knochige Vorarbeiter kümmerte sich um die alltäglichen Arbeitsabläufe auf der Farm und dem Reiterhof. „Es tut mir leid, ich dachte, Sie wären jemand anders.“
„Ich habe schlechte Nachrichten.“ Seine Stimme klang rau vor Trauer. „Es geht um Aggie. Einer der Stallburschen hat sie heute Morgen gefunden. Sie lag ungefähr fünfzig Meter vom Waldweg entfernt … sie ist tot.“
Seine Worte versetzten ihr einen Schock. Prompt schnürte sich ihr die Kehle zusammen. Aggie war eine sanfte, fünfzehn Jahre alte gescheckte Stute und Caitlyns besonderer Liebling. Sie wurde seit einigen Tagen im Stall von Rambling Rose vermisst. Alle wussten, dass Aggie gelegentlich Ausflüge unternahm, um nach süßem Klee zu suchen, und Caitlyn hatte mit einem anderen Pferd die Suche nach ihr aufgenommen, aber ohne Erfolg. „Was ist passiert?“
Ein langes Schweigen folgte. „Irgendjemand hat sie getötet, Caitlyn. Ihre, äh … ihre Kehle ist durchgeschnitten … unter anderem. Es ist eine ziemlich große Sauerei. Ich denke, es ist vor ein paar Tagen passiert.“
Sie spürte, wie ihr das Blut aus dem Gesicht wich. Sobald sie ihre Stimme wiedergefunden hatte, sagte sie: „Ich bin gleich da.“
„Vielleicht sollten Sie das nicht tun – ich bin nicht sicher, ob Sie das sehen wollen.“
„Ich komme gleich zum Stall herunter“, wiederholte sie. „Haben Sie die Polizei gerufen?“
„Sie meinten, sie schauen nachher vorbei.“
Nachdem sie sich verabschiedet und den Hörer wieder aufgehängt hatte, stand Caitlyn einfach da, unfähig, sich zu bewegen. Der Schock durchströmte sie immer noch. Sie schlang ihre Arme um ihre schlanke Gestalt und schüttelte langsam und ungläubig den Kopf. Sie hatte Aggie geliebt. Ihr Herz krampfte sich zusammen bei dem Gedanken, dass jemand ein solch schönes, lebendiges Wesen töten konnte. Und wozu? Die Sinnlosigkeit dieser Tat wühlte sie auf und machte ihr deutlich, dass Gewalt weit über Stadtgebiete hinausgreifen konnte.
Sogar hier draußen war nichts sicher.
2. KAPITEL
Das Mobiltelefon weckte ihn. Ein Justin-Timberlake-Song, den eine seiner Nichten zum Spaß als Klingelton heruntergeladen haben musste, tönte durchs Zimmer. Reid Novak blinzelte gegen das Morgenlicht an, das sich durch die Fensterläden stahl. Er lag auf der Couch in seinem Apartment in Adams Morgan, der Fernseher war angeschaltet. Es lief CNN. Reid fuhr sich mit den Händen übers Gesicht und griff nach dem Telefon. Dieses Geheule musste er unbedingt abstellen.
„Novak“, murmelte er.
„Agent Novak, hier ist Special Agent in Charge Johnston …“
Reid
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