Der Priester
aus.«
»Aber Brogan ist nicht mehr deine Chefin, oder? Außerdem sind deine Kollegen immer hinter einem schnellen Erfolg her. Wäre nicht das erste Mal, dass ihr euch von eurer Begeisterung mitreißen lasst.«
Er spürte die Spitze nicht einmal. Er war viel zu sehr mit dem beschäftigt, was ihm im Kopf herumging. Rinn nahm darin inzwischen den meisten Raum ein, und hinter ihm, in der Dunkelheit kaum sichtbar, befanden sich diese Fotos von seinem Großvater und das wunderbare, sonnige Bild, das bei Rinn ein solches Unbehagen ausgelöst hatte: Gweedore im Sommer.
»Hey, wieso bist du jetzt plötzlich so nachdenklich?« Die Dunkelheit löste sich auf, als er den Blick von Siobhans durchdringenden blauen Augen in seinem Gesicht spürte.
»Ach, nichts«, sagte er und schob die Gedanken beiseite.
»Ja, klar doch. Du bist wirklich ein miserabler Lügner, Mulcahy. Also komm schon, ich hatte recht, oder? Du hast jemand anderen in Verdacht, stimmt’s? Passt der vielleicht besser auf diese Beschreibung? Denkst du an jemand Bestimmtes?«
»Mach dich nicht lächerlich, ich …«
»Mein Gott, du bist derjenige, der sich lächerlich macht«, unterbrach sie ihn aufgeregt. »Ich merk dir das doch an. Komm schon, pass auf, ich kann dir helfen. Wir haben unsere Möglichkeiten bei der Zeitung. Du brauchst mir jetzt nicht mal alles zu erzählen. Es reicht vollkommen, wenn du zu mir kommst, sobald du alles zusammen hast, und es mir als Erstes erzählst.«
Und da war sie, seine Chance, herauszufinden, was damals passiert war. Und er musste nicht einmal darum bitten.
»Also gut«, sagte er. »Bei einer Sache kannst du mir vielleicht wirklich helfen.«
Brogan schloss die Tür des Beobachtungsraums hinter sich, lehnte sich an die Flurwand und atmete zufrieden durch. Obwohl sie sich tief in den Katakomben der Kilmainham-Garda-Station befand, war die Luft erstaunlich frisch und kühl. Das, dachte sie, könnte ihr allerdings auch nur deshalb so vorkommen, weil sie die letzten anderthalb Stunden mit fünf anderen Detectives – alles kräftig gebaute Männer – in einem kleinen Raum zusammengepfercht Zeugin von etwas geworden war, was sie noch nie gesehen hatte. Zumindest nicht in dieser Intensität.
Sie rieb sich den Nacken, ohne genau sagen zu können, ob sie eher begeistert oder erschöpft war. Obwohl ihr Rücken knackte und sich ihre Arme und Beine wie Säcke anfühlten, raste das Blut noch wie ein Schnellzug durch ihre Adern. Sie fühlte sich so lebendig wie seit der Geburt ihres Sohnes nicht mehr. Inzwischen war sie schon achtzehn Stunden auf den Beinen, und die Nacht vorher hatte sie auch kaum ein Auge zugemacht. Aber was für ein Tag war das gewesen!
Nur etwa eine Stunde nachdem sie und ihr Team angekommen waren und sich in Kilmainham bei Lonergans Mordmeute eingerichtet hatten, waren erste Gerüchte über einen Durchbruch in dem Fall aufgekommen. Dann, kurz vor Mittag, war ein bis über beide Ohren strahlender Lonergan aufgetaucht. Sie hatte ihn schon bei ihrer ersten Begegnung am Morgen im Phoenix Park gemocht – ein großer, lässiger Mann, knapp eins neunzig, Anfang vierzig, dabei aber fit und mit klugen, grünen Augen, die offenbar irgendwie nie auf die falschen Stellen starrten. Er war ihr sogar noch sympathischer, als er sie später in sein Büro zu einem Briefing unter vier Augen einlud, in dem er die schnellen Fortschritte umriss, die die Ermittlungen im Laufe des Vormittags gemacht hatten. Ganz anders als Healy. Und anders als alle Superintendents, die sie bisher kennengelernt hatte. In jedem seiner Worte lag Respekt, und sie fühlte sich ihm gegenüber sofort loyal.
Seitdem war alles extrem schnell gegangen: Der große Durchbruch war die Bestellnummer in der Plastikplane, darauf folgte die Razzia bei Emmet Byrne, die Entdeckung der Plastikfasersäcke im Lieferwagen, das Briefing, bei dem Lonergan sie gebeten hatte, das Team mit ihm zusammen zu leiten, und die Pressekonferenz mit dem Polizeipräsidenten, bei der sie Byrnes Festnahme bekannt gegeben hatten. Herrje, als ob das für einen Tag nicht gereicht hätte.
Dann, als Krönung des Ganzen, hatte sie zusehen dürfen, wie Lonergan Emmet Byrne vernommen und ihn wie ein absoluter Meister seines Fachs eingewickelt hatte. Der Mann war mehr als brillant gewesen. Lonergan und ein finster dreinblickender Detective Sergeant hatten sich ganz klassisch gegenseitig die Bälle zugespielt, wobei er selbst meist die Führung übernommen hatte. Er war nie aggressiv geworden,
Weitere Kostenlose Bücher