Der Priester
In ihre Träume jedenfalls schlich er sich nicht. Das war mal sicher.
In letzter Zeit waren schon ein paar ähnliche Dinge passiert. Anfangs war es ihr kaum aufgefallen. Ein Anruf bei der Arbeit, bei dem Orbison einen anderen Song knödelte. Sie hatte ihn sich gar nicht angehört, sondern ihn für einen dieser lästigen Werbeanrufe gehalten und gleich wieder aufgelegt. Dann auf ihrem Handy. Ein Song auf der Mailbox: Pretty Woman. Sie war neugierig genug gewesen, um ihn sich bis zum Ende anzuhören. Aber hinterher wurde einfach aufgelegt. Wieder hatte sie sich nicht viel dabei gedacht. Vielleicht irgendein Witzbold, der sie veräppeln wollte. Als Bishop dann aber bei ihrem nächsten gemeinsamen Dinner so unglaublich aufmerksam war, ihr sagte, wie gut sie aussähe, wenn sie die Straße entlangging, und ihr die Gary-Maloney-Story praktisch in Geschenkverpackung präsentierte, hatte sie noch einmal darüber nachgedacht. Wie ein altmodischer Verehrer, der seiner Angebeteten ein Zeichen seiner Hochachtung schickte. Bis dahin hatte sie gedacht, er zöge sein Vergnügen nur daraus, dass er ein paar von den Dingen, die er ihr erzählte, kurz darauf in der Zeitung nachlesen konnte. Aber jetzt?
Vielleicht irrte sie sich doch. Vielleicht hatte Bishop nichts mit den Anrufen zu tun, und das Ganze war reiner Zufall. Wobei ihr das in gewisser Weise sogar noch unheimlicher vorkam. Wer zum Teufel kannte denn ihre Privatnummer? Sie stand nicht im Telefonbuch, und sie hatte sie nur ein paar engen Freunden und ihrer Familie gegeben. Bishop gehörte nicht dazu. Natürlich wusste sie, dass man solche Informationen mit Geld leicht kaufen konnte. Und irgendwie passte diese ganze kalte, vornehme, passiv-aggressive Stimmung der Songs perfekt zu ihm. Er musste es sein. Also stellte sich die Frage, wie um alles in der Welt sie damit umgehen sollte. Denn ehrlich gesagt brauchte sie Bishop in jeder Beziehung dringender als er sie – zumindest solange es sich nicht um eine Liebesbeziehung handelte. Die Gary-Maloney-Story war nicht der einzige Tipp, den er ihr gegeben hatte, und sie war sicher, dass sie nur zu fragen brauchte, um noch weitere Hinweise zu bekommen. Falls sie es richtig anging.
Siobhan schüttelte belustigt und leicht gereizt den Kopf, als Orbison zu seinem leicht masturbatorischen Höhepunkt kam und der Anrufbeantworter sich abschaltete. Vielleicht war es das Beste. Vielleicht sollte sie die Anrufe einfach ignorieren. Was scherte sie sich um diesen alten Song? Sie brauchte nur die Löschen-Taste zu drücken, dann war er verschwunden. Die Chance, eine weitere einschlägige Story von Bishop zu bekommen, war es wert, solche Peinlichkeiten zu übersehen. Und wenn er versuchen sollte, noch einen Schritt weiterzugehen, tja, dann würde sie auch damit klarkommen, wenn es denn so weit war.
»Ich bin davon ausgegangen, dass Sie gern einen eigenen Platz hätten«, sagte Brogan, während sie die Tür zu einem winzigen Büro im Einsatzzentrum öffnete. Platz war kaum das richtige Wort für das muffige, fensterlose, graue Kabuff, in dem ein Metallschreibtisch und ein Stuhl standen, die man mit einem Brecheisen hineinbugsiert haben musste.
»Da muss ich mich ja wohl echt bedanken …«, sagte Mulcahy.
Brogan rümpfte die Nase, trat dann einen Schritt zurück und ließ ihn vorbei. »Das ist das Beste, was wir Ihnen bieten können.«
Mulcahy atmete tief durch und machte sich wieder einmal bewusst, dass er hier ein Eindringling war. Dies war etwas ganz anderes als sein altes, großzügiges, aus EU -Geldern finanziertes Büro in Madrid. Da war alles vom Feinsten gewesen – vom Teppich über die Computerausrüstung bis zu den teuren Kunstwerken in den öffentlich zugänglichen Räumen. Oft hatte er über die Reaktion der Garda-Kollegen gelacht, die mit offenem Mund dagestanden hatten, nachdem sie über die Schwelle des Europol-Gebäudes an der Calle Recoletos getreten waren. Mit der Zeit hatte er sich jedoch daran gewöhnt. Jetzt müsste er sich wahrscheinlich kneifen, wenn er je zurückging.
»Kein Problem«, sagte er. »Ich hab schon in schlimmeren Kabuffs gearbeitet. Ich lass einfach die Tür offen, damit ein bisschen Luft reinkommt, und versuche, nichts von dem zu verpassen, was da draußen vorgeht.«
Sein Galgenhumor schien Brogan nicht aufzuheitern, doch als er sich ungelenk um den Schreibtisch zwängte, musste sie unweigerlich lachen.
»Kann ich die irgendwo abstellen?«, fragte er und deutete auf zwei Pappkartons, die, abgesehen von
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