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Der Priester

Der Priester

Titel: Der Priester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerard O'Donovan
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Büro, wenn außer ihr meist nur noch Paddy Griffin da war. Nur dann war es so ruhig, dass sie sich beim Denken zuhören konnte.
    Und hinterher hatte sie vor, mit Vincent Bishop im Pembroke was trinken zu gehen. Wieder einmal. Er würde ihr wahrscheinlich sogleich eröffnen, dass er bereits einen Tisch fürs Abendessen reserviert hatte und sich freuen würde, wenn sie ihm Gesellschaft leistete. Wie beim letzten Mal. Wieder hatte sie Mulcahys Gesicht vor Augen, das Lächeln, bei dem sich die Mundwinkel hochzogen. Als er sie gefragt hatte, ob ihre Quellen je irgendwelche Gegenleistungen erwarteten? Herrje, da hatte er den Nagel auf den Kopf getroffen.
    Eine Freundin hatte ihr Bishop vor ein paar Monaten bei einer von der Sport Ireland veranstalteten Party vorgestellt, und sie hatte schnell kapiert, dass er eine Quelle unschätzbarer Informationen darstellte. Natürlich hatte sie schon vorher von ihm gehört. Er gehörte zu den irischen Neureichen, denen selbst die Rezession nichts anhaben konnte. Sie wusste, dass er in den Siebzigern die Tanzpaläste seines Vaters verkauft und von dem Geld die Bishop-Versicherungsgruppe gegründet hatte – »Irische Sicherheit für die Iren«. Damit hatte er Millionen verdient, die Versicherung dann wieder verkauft und diverse Internet- und Medienkonzerne gegründet, die erstaunlich erfolgreich waren. In seiner Freizeit jedoch, wo immer er die noch hernahm, hatte er sich am Anfang dieses Millenniums einen Namen als eine der treibenden Kräfte des irischen Kunst-Booms gemacht – ein beharrlicher Sammler, der den Ruf hatte, immer das zu kaufen, was er haben wollte, ganz egal, was es kostete.
    Privat war er höflich, aber reserviert. Vorsichtig. Ein etwas seltsamer Anblick. Groß, blass, knochendürr, glatte, schwarze Haare – wahrscheinlich gefärbt –, schlaffer Händedruck. Eigentlich war alles schlaff an ihm – sofern sie es beurteilen konnte. Er war seit Jahren verwitwet, hatte sich ihr gegenüber anfangs etwas unbeholfen verhalten und feuchtkalte Hände gehabt, sie aber offenbar trotzdem ins Herz geschlossen und sich ihr geöffnet, als sie zu plaudern anfing. Vielleicht spürte er, dass sie sich nicht für sein Geld interessierte. Seine Kontakte hingegen … Herrgott, die waren wirklich phänomenal und erstreckten sich quer durch alle Bereiche: Wirtschaft, Kunst, Sport und Politik. Sie hatte keine Ahnung, wie er an die Informationen herankam, aber er schien besonders bei schmutzigen Sachen extrem gut Bescheid zu wissen. Und er wusste auch, was dieses Wissen wert war. Also hatten sie einiges gemeinsam und trafen sich seitdem regelmäßig. Das waren keine Dates. Soweit sie das bisher mitbekommen hatte, suchte er nur jemanden zum Klatschen. Früher jedenfalls.
    Sie schaltete den Föhn aus, warf ihn aufs Bett und ging ins Wohnzimmer, direkt zu dem kleinen Schreibtisch, wo sie die Play-Taste des Anrufbeantworters drückte. Es zischte und knisterte kurz im grauen Plastiklautsprecher wie der Anfang einer alten Singleschallplatte, dann erklang ein einzelner Gitarrenakkord, und eine unheimliche, geisterhafte Stimme fing an zu knödeln.
    Es war Roy Orbison mit seinem Song In Dreams , was sie allerdings beim ersten Anhören der Nachricht gar nicht richtig mitgekriegt hatte. Gestern Abend fand sie es noch viel komischer, als sie nach den Drinks mit Mulcahy nach Hause gekommen war, etwas beschwipst und ein bisschen enttäuscht darüber, wie sich der Abend mit ihm entwickelt hatte – oder, genauer gesagt, eben nicht entwickelt hatte. Als sie in die Wohnung gekommen war, den Knopf gedrückt und gehört hatte, wie die Musik den Raum erfüllte. Auf dem Anrufbeantworter war nur der Song. Keine Nachricht. Herrje, das ging mal wieder von einem Extrem ins andere. Großartig. Sie hatte einfach nur gelacht, war ins Bett gewankt – und sofort eingeschlafen.
    Jetzt fand sie es unheimlich. Direkt nach dem Aufwachen hatte sich die Melodie in ihre Gedanken geschlichen und war ihr immer wieder durch den Kopf gegangen – was nicht angenehm war. Sie hatte Orbisons Musik nie gemocht. Ihr Vater besaß eine seiner LP s, und irgendwie hatte das Foto auf dem Plattencover ihr damals, als sie klein war, Angst eingejagt. Inzwischen hatte sie keine Probleme mehr mit dem Bild des aufgedunsenen alten Mannes mit dunkler Sonnenbrille und komischen, schwarzen Haaren, der versuchte, cool und nur halb so alt auszusehen, wie er damals war. Sie schauderte immer noch, wenn sie daran dachte. Was In Dreams betraf. Herrgott.

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