Der Priester
Zeit hätte abzielen sollen. Ihre Paranoia wegen seiner Anwesenheit in ihrem kleinen Lehensgut war zwar ziemlich nervig, aber das, was die Spanier sich da geleistet hatten, war weitaus schlimmer. Es machte jede irgendwie geartete Kooperation unmöglich und würde die Ermittlungen erheblich erschweren.
»Irgendwie kriegen wir das schon hin«, sagte er und legte mehr Zuversicht in die Stimme, als er verspürte. »Es wurden doch alle Proben genommen. Und Jesica hätte uns im Moment ohnehin nicht mehr viel sagen können. Wir müssen denen da oben nur klarmachen, dass wir nichts von der Überführung wussten und über die entstandene Situation auch nicht sehr glücklich sind. Ansonsten soll der Minister sich um die politische Seite kümmern. Der muss ja irgendwas damit zu tun gehabt haben.«
Bevor Brogan sich abwandte und ging, sah Mulcahy, dass keins seiner Worte bei ihr angekommen war.
Das Besprechungszimmer war verlassen. Mulcahy hatte den größten Teil des Nachmittags an seinem Schreibtisch mit der Durchsicht der Akten verbracht. Abgesehen von einer Sekretärin, die im Vorzimmer etwas in einen Computer tippte und sich von seiner Anwesenheit nicht stören ließ, war er allein im Büro. Brogan war es gelungen, ihn kaltzustellen. Kurz nachdem er ihr von seinem Telefonat mit Ibañez erzählt hatte, war sie mit Cassidy und den anderen zu Haustürbefragungen und Vernehmungen einiger aktenkundiger Sexualtäter aufgebrochen. Immerhin hatte ihre Abwesenheit ihm die Gelegenheit gegeben, ein paar längst überfällige Anrufe zu machen. Nicht zuletzt bei seinem alten Spezi Sergeant Liam Ford in der Drogenfahndung, den er seit Ewigkeiten nicht gesehen hatte.
»Meine Fresse«, lachte Ford verblüfft, als er erfuhr, dass man seinen alten Chef zum Dienst bei der Sitte zwangsrekrutiert hatte. »Haben Sie dir an der Tür die Eier abgehackt?«
Mulcahy versicherte ihm, dass das nicht der Fall wäre. Sie verabredeten sich für den Mittag des folgenden Tags auf ein Bier, dann legte Mulcahy auf. Kein Wunder, dass Brogan und Cassidy so empfindlich waren. Unabhängig davon, was er über die Sitte dachte, war Fords Reaktion typisch für die Garda. Noch ein Grund mehr, hier so schnell wie möglich wieder rauszukommen. Dabei konnte die Rückkehr des Mädchens nach Madrid für ihn nur hilfreich sein, weil sie ihn jetzt vielleicht nicht mehr brauchten. Die spanische Botschaft würde keinen großen Wert mehr auf den »Verbindungsmann« legen, und wenn alles glattging, konnte er sich in ein paar Tagen unauffällig verdrücken. Das, wohin er zurückging, war zwar nicht viel besser, doch zumindest brauchte er nicht mehr um Brogan und Cassidy, diesen kleinen Scheißer, herumzuschleichen.
In diesem Augenblick klingelte sein Handy, aber er erkannte die Nummer im Display nicht.
»Mike?«
Die Stimme hatte einen spanischen Akzent, und er erkannte sie sofort als die seines alten Kollegen Javier Martinez von der Drogenbekämpfungstruppe in Madrid. Obwohl sie während der sieben Jahre, die er in Spanien verbracht hatte, enge Freunde gewesen waren, hatte Mulcahy ihn seit Monaten nicht gesprochen, und seine Laune besserte sich sofort. Es war fast so, als wäre er in sein altes Leben zurückgekehrt.
»Jav? Wie geht’s dir? Verdammt, ich vermisse euch alle sehr.«
»Von ›uns alle‹ kann keine Rede mehr sein«, gluckste Martinez. »Hast du noch nichts davon gehört? Ich bin genau wie du und alle anderen versetzt worden.«
»Wieso das denn?«, fragte Mulcahy. »Der Job war dir doch auf den Leib geschrieben.«
»Dir etwa nicht?«
Mit einem Grunzen bestätigte Mulcahy die unleugbare Wahrheit dieser Aussage.
»Aber wie gesagt«, fuhr Martinez fort, »ich wurde versetzt. Befördert. Jetzt bin ich Leiter der – wie nennt ihr das – Abteilung für Sicherheit und Auswärtige Zusammenarbeit. Du weißt schon, es geht um VIP s, Diplomaten, Politiker und ein paar Sondereinsätze.«
»Ach herrje, als Babysitter hab ich dich nie gesehen.« Aber schon während er das sagte, wurde Mulcahy klar, dass Martinez, der genialste Netzwerker, dem er je begegnet war, diese Rolle brillant ausfüllen würde.
Dieses Mal lachte Martinez laut auf. »Ein bisschen mehr gehört schon noch dazu. Zum Babysitten komm ich kaum, weil ich im Hintergrund die Fäden ziehen oder irgendwelche Gefälligkeiten arrangieren muss. Wie zum Beispiel den für Don Alfonso Mellado Salazar gestern Abend.«
Martinez schwieg einen Moment, gab Mulcahy die Gelegenheit zu verstehen, was er gerade
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