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Der Priester

Der Priester

Titel: Der Priester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerard O'Donovan
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amerikanischen Kinder, sondern auch die irischen bedrohte. Allgemeines Geschwafel hielt sich immer am besten bis zum nächsten Sonntag.
    Zwanzig nach acht. Wenn sie zu ihrem Treffen mit Vincent Bishop nicht zu spät kommen wollte, musste sie jetzt los. Den letzten Schliff konnte sie dem Artikel morgen früh, wenn sie ausgeruht war, innerhalb von zehn Minuten geben, falls das überhaupt nötig war. Griffin hatte längst aufgegeben und sich zu einer einsamen Nacht in seine kleine Zweizimmerwohnung in Drumcondra verzogen, wo er durch die verschiedenen Nachrichtensender im Fernsehen zappte. Sie speicherte den Artikel, loggte sich aus, ging zum Fenster und streckte sich und ihre steifen Arme.
    Das Tageslicht schien langsam zu schwinden, allerdings ließ sich das durch die Rauchglasscheiben des Verlagsgebäudes immer schwer feststellen. Sie sah den Fahrgästen gerne ins Gesicht, die in den Oberdecks der Busse an der Endstation auf die Abfahrt warteten. Da Siobhan im ersten Stock war, befanden sich beide auf gleicher Höhe. Die Fahrgäste waren gerade einmal vier bis fünf Meter von ihr entfernt, ahnten aber nicht, dass sie durch die verspiegelten Scheiben beobachtet wurden. Siobhan versuchte anhand ihrer Kleidung und der Gesichter herauszubekommen, was für ein Leben sie führten, wo sie arbeiteten, woher sie kamen und wohin sie fahren könnten. Freitagnachts hatte sie sogar einmal auf der Rückbank des 128ers ein jugendliches Paar beim Bumsen gesehen. Der Rest des Oberdecks war leer gewesen, und das Mädchen hatte sich an der Lehne festgehalten und verzweifelt versucht, Ausschau zu halten, während der Junge, der sich seine Jeans gerade mal bis zu den Arschbacken heruntergezogen hatte, wild am Pumpen war. Sie konnten nicht ahnen, dass auf Siobhans überraschten Schrei der Rest der Nachrichtenredaktion herbeigeeilt war, um einen Blick darauf zu werfen, und alle wie ein Haufen großer Kinder kreischten, als der Junge schließlich erzitterte und zusammensackte.
    Von der Erinnerung erheitert ging sie zurück zum Schreibtisch. Die Kameradschaft in der Nachrichtenredaktion war kaum zu überbieten. Sie zog ihre Jacke an und streckte die Hand aus, um den Monitor auszuschalten, als das Telefon auf Jim Clarkins Schreibtisch hinter ihr klingelte. Sie zögerte kurz, ging dann aber ran. Clarkin, der ausgebrannte Kriminalberichterstatter, kam nur sehr selten ins Büro. Er zog es vor, in den Bars in der Umgebung des Four Courts nach seinen Storys zu suchen oder der Reihe nach in seinem Wagen alle Gerichte abzuklappern. Er arbeitete immer von seinem Handy aus. Da musste sich jemand verwählt haben. Aber man konnte nie wissen.
    »Hallo, Nachrichtenredaktion.«
    Zu ihrer Überraschung fragte der Anrufer tatsächlich nach Clarkin.
    »Der ist nicht da. Kann ich Ihnen vielleicht irgendwie weiterhelfen?«
    Der Anruf kam von einem Handy, die Stimme war durch das Rauschen aber kaum zu verstehen. Das Anliegen des Anrufers war jedoch eindeutig. Er wollte Informationen verkaufen.
    »Ja, also, wir sind immer auf der Suche nach guten Storys. Ich denke, da ließe sich etwas machen, wenn das für uns passt. Es müsste allerdings schon etwas Besonderes sein – für irgendwelchen Mist zahlen wir nichts. Können Sie mir mehr darüber erzählen?«
    Als sie an ihren Schreibtisch gelehnt zuhörte, erschlaffte ihr Gesicht und nahm einen gelangweilten Ausdruck an, bis der Anrufer zum entscheidenden Detail seiner Story kam. Eine spanische Schülerin war am Vorabend in einem Vorort im Süden der Stadt überfallen und vergewaltigt worden. Erst als er zu den Verletzungen kam, die der Täter ihr angeblich zugefügt hatte, sprang Siobhan auf und griff nach dem Kugelschreiber und ihrem Block.
    »Was hat er gemacht? Oh Jesses, das ist ja widerlich.« Ihr Gesicht spannte sich vor Ekel, als sie die Einzelheiten notierte. »Und wie geht’s dem Mädchen? … Kennen Sie ihren Namen? … Na ja, Sie müssen wissen … Spanierin, mehr können Sie nicht sagen? … Und in welchem Krankenhaus liegt sie? … Okay, in welchem Krankenhaus hat sie gelegen ? … Ja, gut … Was können Sie mir sonst noch sagen?«
    Als sie nach weiteren Details fragte, gab sich der Anrufer jedoch enttäuschend kurz angebunden, und als er anfing, die Dinge zu wiederholen, die er schon gesagt hatte, unterbrach sie ihn. »Okay, hören Sie, ich denke, zwanzig Euro ist das wert. Geben Sie mir Ihren Namen, dann hinterlege ich das Geld für Sie an der Rezeption.«
    Sie zog einen Umschlag aus der Schublade

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