Der Prinz der Rache: Roman (German Edition)
und blickte in den silbernen Spiegel. Das Silber warf nur ein verzerrtes Bild zurück, und das sah übel aus.
» Warte, ich helfe dir. « Vorsichtig tupfte Tiuri ihm mit einem Tuch das Blut von der Lippe.
Er bewunderte sie für den heiligen Ernst, den sie bei solchen Dingen an den Tag legte. Sie wirkte dann viel älter als die zehn Jahre, die sie gerade zählte.
» Pass auf, dass dir nichts aufs Kleid tropft « , murmelte er.
» Mutter, Vil macht Tiri das Kleid schmutzig « , rief Faras vor der Tür.
» Und du machst dir in die Hosen, wenn du Blut siehst « , gab Vil wütend zurück.
Eigentlich erwartete er, dass gleich seine Mutter in die Kammer rauschen würde, aber Rohana Merson kam nicht. Offenbar nahmen die Vorbereitungen für den Abend sie zu sehr in Anspruch.
Faras streckte Vil die Zunge heraus und rannte dann davon.
» Er kann froh sein, dass wir heute Gäste haben « , murmelte Vil.
» Ich bin auch froh « , sagte Tiuri. » Und es ist doch auch schön – all diese wichtigen Menschen sind vornehm gekleidet und höflich und reden über bedeutende Dinge, über die sonst nie einer mit uns redet. « Sie betrachtete ihr Werk zufrieden aus den dunklen Augen, die sie von ihrem Vater geerbt hatte.
Er fuhr sich mit der Zunge prüfend über die Lippe. Sie hatte aufgehört zu bluten. » Lehrreich vielleicht, vor allem aber langweilig « , widersprach er.
» Finde ich nicht. Aber beeil dich jetzt besser. Es ist schon spät. «
Als Vil die Treppe hinunterstieg, hatte die Magd die letzten Kerzen bereits entzündet. Sie stand an der Tür, unterdrückte ein Gähnen und wartete auf die Gäste.
Vils Vater sah ihn kommen, runzelte die Stirn und bedachte ihn mit einem Unheil kündenden Blick.
Vil schluckte. Aber dann, als seine Mutter nicht hinsah, zwinkerte ihm sein Vater aufmunternd zu.
» Nehmt Aufstellung, Kinder, und bitte, benehmt euch wie die Kinder von Edelleuten – und nicht wie die von Raufbolden. «
Vils Platz war an der Seite seines Vaters.
» Hast du wenigstens gewonnen? « , fragte der leise.
» Unentschieden « , erwiderte Vil flüsternd. » Aber es ging auch zwei gegen einen. «
» Dann ist unentschieden ein gutes Ergebnis, mein Sohn. «
» Ermutige ihn nicht auch noch, Aretor « , sagte Rohana Merson kühl, die sie gehört hatte.
Dennoch, Vil hatte sich vor dem Urteil seines Vaters gefürchtet, und er war froh, dass es milde auszufallen schien.
Sie warteten, aber die Gäste verspäteten sich offenbar. Vil blickte zum Tisch. Beinahe zwanzig Männer und Frauen würden gleich dort sitzen, sich den Bauch vollschlagen und über Politik, Preise für Tee, kostbare Stoffe und Tragödien in der Verwandtschaft reden.
Der Geruch von Braten wehte aus der Küche heran, und Vil hörte den Koch fluchen, wie immer, wenn er eines seiner Meisterwerke vorbereitete. Vielleicht fluchte er aber auch, weil die Gäste sich verspäteten.
» Warum ist denn noch niemand da? « , fragte Tiuri leise. Sie wippte ungeduldig auf den Fersen.
» Es ist vermutlich wegen der Unruhen in der Stadt « , meinte Aretor Merson.
» Unruhen? « , fragte Faras ängstlich.
» Nur im Grubenviertel, auf der anderen Seite der Stadt, mein Sohn. Kein Grund zur Sorge. Die Wache wird das schnell in den Griff bekommen. «
Sein Vater hatte mit Vil über die Unruhen geredet. Sie waren ausgebrochen, nachdem das Meer in die größte Mine der Stadt eingedrungen war und viele Männer getötet hatte. Es war eine Mine, an deren Einnahmen sein Vater beteiligt war, und offenbar bedeutete es einen schweren Verlust für das Familienvermögen.
Aber es war auch das schlimmste Unglück seit Menschengedenken, und die Bergleute behaupteten nun, die Minen seien unsicher und schlecht geführt, vor allem aber gaben sie den Scholaren und ihrem schwarzen Pulver die Schuld. Mitglieder dieses Ordens sollten auf offener Straße angegriffen worden sein. Und nun musste die Wache mit eiserner Hand wieder für Ruhe sorgen.
» Aber wenn es auf der anderen Seite der Stadt ist, warum kommen dann deswegen diese Leute zu spät? « , fragte Tiuri.
» Tiuri, bitte, zu viele Fragen stehen einer Dame nicht gut zu Gesicht « , sagte die Mutter mit mild tadelndem Blick.
Also warteten sie weiter, doch niemand kam.
» Gut. Wir fangen an « , sagte Aretor Merson schließlich.
Vil fand, dass er blass aussah.
Zu fünft saßen sie an einer Tafel, die für zwanzig gedeckt war, und sie aßen schweigend. Rohana Merson setzte ein- oder zweimal dazu an, ihrem Mann etwas
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