Der Prinz mit den sanften Haenden
es von Anfang an gewusst. Mein Großvater vielleicht. Doch er hat mich nicht in seinem Testament bedacht, mich nicht mal erwähnt."
„Ist das nicht seltsam?" Das erschien Clio am unwahrscheinlichsten.
Er musterte sie prüfend. „Wollen Sie damit sagen, dass meine Onkel die Wahrheit kennen und ihre Ahnungslosigkeit nur vor getäuscht haben? Wissen Sie etwas? Hat Ihre Schwester etwas erzählt?"
Es missfiel ihr, dass er mit seiner Geschichte Mitgefühl bei ihr weckte. „Nein, ich weiß nicht mehr, als Sie mir erzählt haben. Ich kann nur nicht begreifen, dass eine Frau nicht den Sohn ihres verstorbenen Sohnes kennen lernen will - ihr Enkelkind."
Ein Schatten huschte über Jalals Gesicht. „Vielleicht war meine uneheliche Geburt ein zu großer Makel."
„Und deshalb wollten Ihre Großeltern Sie nie sehen?" Clio war sicher, dass sie, wenn sie die Großmutter gewesen wäre, alles versucht hätte, um ihr Enkelkind bei sich zu haben, gleichgültig, ob seine Eltern gegen irgendwelche Regeln verstoßen hatten oder nicht.
„Nein. Es gab nicht mal einen Brief von ihnen, der mir nach ihrem Tod geschickt worden wäre."
Kein Wunder, dass er sich nirgends zu Hause fühlte.
Jalal schwieg, während sie über das Wasser dahinschossen, das so weit wie die Wüste wirkte.
„Was haben Sie gemacht, als Ihre Onkel auf Ihre Forderungen nicht eingegangen sind?"
Er war zurückgekehrt in die Wüste, an den Ort seiner Kindheit. Aber die Bande waren zerrissen gewesen. „Die Wüste kann nie wieder meine Heimat werden. Unter den Menschen, unter denen ich dort gelebt hatte, fühlte ich mich mehr zu Hause. Alle lebten noch in einem anderen Jahrhundert und hatten Angst vor jeder Veränderung." Deshalb hatte er den Entschluss gefasst, seine richtige Familie zur Anerkennung seiner Existenz zu zwingen. Er hatte Mitstreiter um sich geschart und schließlich eine Geisel genommen.
„Den Rest kennen Sie ja", meinte er ein wenig ironisch.
„Ja", antwortete sie. „Und jetzt hat sich Ihr Leben wieder verändert. Dank Zara haben Sie Ihre Abstammung nachgewiesen, haben den Titel und Besitz Ihres Vaters bekommen. Ihre Onkel vertrauen Ihnen so sehr, dass sie Ihnen den Posten des Großwesirs gegeben haben und Sie den Auftrag bekommen haben ..."
„Den Auftrag? Wer hat Ihnen gesagt, ich hätte einen Auftrag?"
Sie begegnete seinem scharfen Blick. „Ich dachte, Sie wären hergekommen, um Ihr Englisch zu verbessern, damit Sie im Herbst Politikwissenschaft an der Harvard Universität studieren können. Ein Sommer inmitten der temperamentvollen Familie Blake sollte da hilfreich sein."
Die Wachsamkeit in seinem Blick erlosch. „Ja", erklärte er. „Das stimmt."
Clio richtete ihren Blick wieder auf das Wasser. Ihre Gedanken überschlugen sich. Was, zum Donnerwetter, hatte das zu bedeuten? Ging es ihm wirklich darum, sein Englisch zu verbessern? Oder war das nur ein Vorwand? Aber weswegen? Welchen anderen Grund sollte Prinz Jalal haben, ans Ende der Welt zu reisen?
2. KAPITEL
Jalal stand auf, trat ans Heck und schaute sich um, während sie in den nächsten See hinüber glitten. In einer begeisterten Geste breitete er die Arme aus. „Ist das herrlich! So viel Wasser!" Tief sog er die Luft ein. „Und wie frisch es riecht! Das ist kein Salzwasser, oder?"
Lautes Hupen schreckte Clio auf. Sie wirbelte herum und entdeckte, dass sie sich erneut auf Kollisionskurs mit einem Boot befand. Entschuldigend winkte sie dem verärgerten Fahrer zu und korrigierte ihren Kurs, aber nicht besonders geschickt, so dass Jalal fast wieder das Gleichgewicht verlor. Doch diesmal fing er sich rechtzeitig.
„Verdammt, lenken Sie mich nicht so ab, wenn ich am Ruder stehe!" schimpfte sie. Er hatte sie mit seiner Ausstrahlung ma gisch angezogen, und sie hatte nicht anders gekonnt, als über die Schulter schauen. „Nein, das ist kein Salzwasser. In Kanada gibt es nur Süßwasserseen."
„Bei Allah! Das ist ein Wunder. Und dieses Wasser trinkt ihr." Es war keine Frage, aber er schien auf eine Bestätigung zu warten.
„Ja, wir trinken es." Sie lächelte. Aber als ihr bewusst wurde, wie rasch sie auf ihn einging, sperrte sie sich gegen die Gefühle, die er in ihr hervorrief. „Zur Zeit jedenfalls noch. Eines Tages wird es dazu wohl zu verschmutzt sein, so wie alles andere auch."
„Es muss vor Verschmutzung geschützt werden", erklärte Jalal, als könnte er das höchstpersönlich anordnen. „Das darf einfach nicht zugelassen werden."
„Natürlich nicht", bemerkte
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